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  Geschichte Schlesiens
 

Schlesier, dieser deutsche Neustamm entstand aus Vermischung von Thüringern, Franken und Slawen.
Siehe Preußische Provinz Schlesien und Österreichisch-Schlesien.
In der Wesensart der Ostmitteldeutschen klingen die liebenswürdigen und lebenslustigen Saiten des Thüringers und Franken stark an. Die Unterwerfung und Durchdringung der Slawen mit deutscher Art hatte hier nichts von jener Härte und Gewaltsamkeit an sich, die im Norden sich geltend machte, und so hat die Wesensart des Stammens etwas Weicheres und Fröhlicheres bekommen. Am reinsten zeigt sich die Art im Schlesier, den Gustav Freytag aus eigener Abstammung heraus folgendermaßen schildert: "Sie sind ein lebhaftes Volk von gutmütiger Art, heiterem Sinn, genügsam, höflich und gastfrei, eifrig und unternehmungslustig, arbeitsam wie alle Deutschen, aber nicht vorzugsweise dauerhaft und nicht vorzugsweise sorgfältig; von einer unübertrefflichen Elastizität, aber ohne gewichtigen Ernst, behende und reichlich in Worten, aber nicht ebenso eilig in der Tat, mit einem weichen Gemüt, sehr geneigt, Fremdes auf sich wirken zu lassen, und doch mit nüchternem Urteil, welches ihnen die Gefahr verringerte, das eigene Wesen aufzuopfern; beim Genuß heiterer, ja poetischer als die anderen Stämme, aber auch seinem idealen Leben vielleicht ohne die Größe massiverer Volksnaturen. Wie das Volk ist auch sein Dialekt; breit, behaglich, sorglos fallen die Worte von den Lippen; er ist reich an liebkosenden Verkleinerungswörtern und abgeleiteten Verben, welche gemütliche Nuancen und Zustände oder Handlungen bezeichnen, er bewahrt manchen altertümlichen Namen und nicht wenig umgeformte Slawenwörter und bezeugt noch jetzt durch die vielen Besonderheiten, welche einzelne Teile der Provinz, ja einzelne Orte haben, daß das Land durch Kolonisten aus verschiedenen Gegenden der großen Heimat germanisiert wurde."

Th. Lenschau, 1923


Schlesien - das ist geographisch das Stromgebiet der oberen und mittleren Oder mit ihren vielen Nebenflüssen zwischen Sudeten und Polnischem Jura, Beskiden und Spreewald - nimmt im östlichen kontinentalen Mitteleuropa eine Mittellage ein. Es liegt etwa im Schnittpunkt der Süd-Nord-Verbindung von der nördlichen Adria zur preußisch-baltischen Ostseeküste und der West-Ost-Achse von der niederländischen Nordseeküste zum Schwarzen Meer. Beiden Liniensystemen entsprechen, fußend auf den natürlichen Gegebenheiten, alte geschichtliche und vorgeschichtliche Handelsstraßen, Wanderwege von Menschen und Kultur, politische Einflüsse. Am Breslauer Oderübergang kreuzten sich seit der Frühzeit die vielbegangene Bernsteinstraße und die später sogenannte Hohe Straße: an dieser strategisch wie wirtschaftlich wichtigen Stelle entstand als politisches, dynastisches, kirchliches und kulturelles Zentrum des schlesischen Oderlandes die Stadt Breslau.
Auf Grund seiner geographischen Lage kommt Schlesien so im großen europäischen Rahmen gewissermaßen eine Schlüsselstellung und eine natürliche Mittlerfunktion zu. Man hat es daher mit Recht als Brücken- und Begegnungslandschaft zu beschreiben und charakterisieren versucht. Als solche hat es im Laufe seiner Geschichte immer wieder Einwirkungen von allen Seiten der Windrose erfahren, es hat aber auch nach allen Seiten ausgestrahlt. Im kleineren nationalen, staatlichen Bereich dagegen befand es sich stets in exponierter Randlage - ganz gleich, ob es zu Böhmen, Polen, Ungarn, Österreich oder Preußen gehörte - und hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, sobald seine rundum ausgreifenden Verbindungen durch geschlossene Grenzen, wirtschaftliche oder politische Spannungen behindert wurden.
Das Land an der oberen und mittleren Oder hat seinen Namen von den Silingen, einem Teilstamm der germanischen Wandalen. Sie kamen aus dem skandinavischen Norden und siedelten von etwa 100 v. Chr. bis 400 n. Chr. um ihr Heiligtum auf dem Zobten, dem Silingberg, wie er noch in Quellen des 13. Jahrhunderts heißt. An dieses Silingen erinnern auch der Silingfluß, das ist die Lohe, die am Zobten vorbeifließt, und der Silinggau, der später von den Slensanen, den Silinggaubewohnern, eingenommen wurde.
In der Völkerwanderung zogen die Silingen zum größten Teil mit den Wandalen - aus unbekannten Gründen - nach Westen ab. Sie gingen 406/7 bei Mainz über den Rhein und gelangten über Frankreich und Spanien nach Nordafrika, wo ihr Reich 533/37 zerstört wurde.
In die in Schlesien durch den Abzug der Silingen freigewordenen Wohnsitze sickerten im 6. und 7. Jahrhundert von Osten her Slawen, aus ihrer Urheimat im Dnjepr-Pripjet-Gebiet kommend, in kleinen Gruppen ein. Sie übernahmen mit dem Land auch die Landesbezeichnung: denn das lateinische Wort Silesia der Geschichtsquellen, der deutsche Name Schlesien, das polnische Slask und das tschechische SIezsko bedeuten nichts anderes als "Silingenland". Die noch vorhandenen Silingenreste wurden von den einwandernden Slawen - so Prokop - entweder ausgerottet oder von ihnen aufgesogen, assimiliert.
Im 9 Jahrhundert siedelten in Schlesien - ohne dass wir Näheres wüssten - mehrere lawische Kleinstämme: die Golensizen im Gebiet um Troppau, die Opolanen um Oppeln (die spätere Stadt Oppeln ist nach ihnen benannt), die Slensanen südlich von Breslau im alten Silingengau, die Dedosizen um Glogau, die Trebowanen zwischen Liegnitz und Trebnitz und die Boboranen im Bobergebiet. Sie gerieten im 10. Jahrhundert zum überwiegenden Teil in böhmische Abhängigkeit: der tschechische PremysIidenfürst Wratislaw I. (894-921) gründete die Burg Breslau und gab ihr den Namen "Wratislawia", der dann auf die später entstehende Stadt überging: das lateinische "Wratislawia" wurde in deutschem Munde zu Breslau. Ganz entsprechend verdankt wohl Bunzlau, in den ältesten Quellen "Boleslawia" genannt, Wratislaws Nachfolger Boleslaw l. oder II. seinen Namen. Über Böhmen erhielt Schlesien in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts das Christentum. Wenig später, im Jahre 1000, wurde unter Mitwirkung Kaiser Ottos III. das Bistum Breslau für den schlesischen Raum gegründet, nachdem das Land kurz zuvor (um 990) durch kriegerische Eroberung zeitweise an den Staat der polnischen Piasten angeschlossen worden war. Es blieb jedoch weiterhin zwischen Böhmen und Polen umstritten und wechselte mehrfach die Herrschaft.
In der ersten, vom Ende des 10. bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts reichenden Periode bildete das Oderland einen Zankapfel zwischen Böhmen und Polen. Es befand sich kraft militärischer Eroberung bald in der Hand des einen, bald des anderen. Die Bevölkerung war damals slawisch, aber weder tschechisch, noch polnisch. Dieser Abschnitt endete mit dem Glatzer Pfingstfrieden 1137, der Schlesien zum größten Teil bei Polen und nur die Grafschaft Glatz, Leobschütz, Jägerndorf und Troppau mit Umgebung bei Böhmen beließ.
Die nun beginnende zweite Periode innerhalb des polnischen Staatsverbandes von 1137 bis 1335 war zugleich die der größten politischen Selbständigkeit und entscheidender innerer Veränderungen des Oderlandes. Bereits 1138 wurde es beim Tode des Polenherzogs Boleslaw III. durch Erbteilung zu einem plastischen Teilfürstentum erhoben, dessen Zugehörigkeit zu Polen sich zunehmend lockerte. Wenige Jahre nach Amtsantritt wurde der erste schlesische Herzog aus dem Piastenhause, Wladislaw, von seinen Brüdern vertrieben (1146). Er flüchtete mit seiner Familie zu seinem Schwager, Kaiser Konrad III., ins Deutsche Reich. 1163 kehrten die Söhne Wladislaws nach 17-jährigem Exil in Deutschland mit Unterstützung Kaiser Friedrich Barbarossas in ihre väterliche schlesische Herrschaft zurück. Sie lehnten sich fortan nicht nur politisch an das Reich an und heirateten deutsche Frauen, sondern nahmen auch ihnen ergebene deutsche Ritter und Mönche, denen Kaufleute, Handwerker und Bauern folgten, als Helfer mit in ihr Land. Mit Hilfe in großer Zahl herbeigerufener deutscher Siedler wie einheimischer Slawen und der Organisationsformen des deutschen Rechtes wurde das nur dünn besiedelte, kaum erschlossene Oderland im Laufe des 13. Jahrhunderts gerodet und kultiviert, fruchtbar und volkreich gemacht. Neben zahllosen Kirchen und Klöstern entstanden bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts mehr als 130 Städte und 1200 Dörfer deutschen Rechtes. Aus eingesessenen Slawen und eingewanderten Deutschen, die gemeinsam unter vorteilhaftem deutschen Dorfsiedel- oder deutschem Stadtrecht lebten, entwickelte sich in friedlichem Miteinander allmählich der ostdeutsche Neustamm der Schlesien. Das wirtschaftlich und kulturell durch unermüdliche Arbeit und Leistung seiner Menschen aufblühende Schlesien trennte sich - innerlich längst deutsch geworden - von Polen auch staatsrechtlich im Vertrag von Trentschin 1335.
Zu Beginn des 13 Jahrhunderts war es den energischen Herzogen Heinrich l. dem Gemahl der hl Hedwig, und ihrem Sohn Heinrich II für kurze Zeit gelungen, ein politisches schlesisches Kraftzentrum aufzubauen, das weite Teile Polens, der Lausitz und der angrenzenden Gebiete oderabwärts an sich zog. Mit dem jähen Tode Heinrichs II auf der Wahlstatt bei Liegnitz im Kampf gegen die Mongolen 1241 brach das machtvoll aufstrebende, "schlesische Reich" unter seinen unmündigen Söhnen zusammen und zerfiel durch fortwahrende Teilungen in eine Vielzahl kleiner und kleinster Teilfürstentümer Da es im ebenfalls zersplitterten Polen an einer bestimmenden Zentralgewalt fehlte, begann Böhmen in das an seiner Ostflanke entstehende machtpolitische Vakuum einzudringen. Seit dem Ende des 13 Jahrhunderts unterstellten sich die schlesischen Plasten schutzsuchend einer nach dem anderen der böhmischen Oberhoheit der Premysliden und nach ihrem Aussterben der Luxemburger und schieden so mit ihren weithin eingedeutschten Territorien aus dem Verbande Polens aus. Im Vertrage von Trentschin 1335, ratifiziert 1339, wurde diese Entwicklung vom polnischen König Kasimir III in aller Form anerkannt. Er erklärte für sich, seine Erben, Miterben und Nachfolger urkundlich unter Eid, Berührung der heiligen Evangelien und automatischem Verfall der Exkommunikation bei Zuwiderhandlung, dass er keinerlei Anspruche auf Schlesien habe, noch jemals in Zukunft erheben werde.
Schlesien war damit seit dem 13 Jahrhundert nicht nur ein in friedlichem und rechtlichem Prozess deutsch besiedeltes und kulturell deutsch geprägtes Land geworden, sondern gehörte auch seit der ersten Hälfte des 14 Jahrhunderts als böhmisches Nebenland staatsrechtlich zum Deutschen Reich. 1348 wurde es von Karl IV als deutscher König 1355 als römischer Kaiser, feierlich in die Krone Böhmens inkorporiert. Die Krone Böhmen aber war bis 1806 Bestandteil des Deutschen Reiches, der König von Böhmen deutscher Kurfürst.
In der dritten, der böhmischen Periode von 1335-1526, konnte Schlesien zunächst im 14 Jahrhundert unter der sicheren Regierung der Luxemburger seine Aufwärtsentwicklung, seine wachsende wirtschaftliche und kulturelle Blute ungestört fortsetzen. Ein spürbarer Rückschlag setzte erst im 15 Jahrhundert mit den Hussitenkriegen und den böhmischen Thronstreitigkeiten ein. 1420 wurde in Breslau als Ausdruck der Reichszugehörigkeit von Kaiser Sigismund ein Reichstag abgehalten, der das Oderland in der Rolle eines Hauptwiderstandszentrums gegen die reichs- und kirchenfeindlichen Hussiten bestätigte und bestärkte. Die folgenden beiden Jahrzehnte waren ganz von den Hussitenkämpfen erfüllt und sahen bald verheerende hussitische Einfälle in Schlesien, bald Schlesier kämpfend in Böhmen. Auch die anschließenden langen Regierungswirren in Prag ließen das ausgeblutete schlesische Land nicht zur Ruhe kommen. Ganz im Gegenteil: jetzt schaltete sich der Nachbar im Süden, Ungarn, ein. Seinem energischen König Matthias Corvinus gelang es, Mähren, Schlesien und die Lausitz zu erobern (1469), sie verwaltungsmäßig zu zentralisieren und bis zu seinem Tode (1490) als ungarische Nebenländer zu behaupten.
Das 16 Jahrhundert brachte den Beginn der vierten, der österreichischen Periode der schlesischen Geschichte 1526 erbten die Habsburger sowohl die ungarische wie die böhmische Königskrone und damit auch die Herrschaft über Schlesien. Seine politische kulturelle und wirtschaftliche Ausrichtung nach Süden in den Donauraum blieb also weiterhin erhalten, der eigentliche politische und kulturelle Bezugspunkt aber verlagerte sich nun von Prag und Budapest in die große Kaiserstadt Wien. Die österreichische Zeit Schlesiens dauerte rund 220 Jahre, von 1526 bis 1742/63, und war damit rund 20 Jahre länger als die nachfolgende Zugehörigkeit Schlesiens zu Preußen. Sie hat dem Lande entscheidende Züge aufgeprägt, in der Konfessionsfrage zum Beispiel.
Luthers Reformation hat in Schlesien früh Fuß gefasst und sich rasch über das ganze Land ausgebreitet. Am Ausgang des 16 Jahrhunderts durften schätzungsweise neun Zehntel der Schlesier dem Luthertum, das sich allerdings anfänglich in seinen äußeren Formen nur unscharf von der alten Kirche abhob, zugeneigt haben. Da die Wittenberger Reformation im Osten vorwiegend von der deutschen Bevölkerung angenommen wurde, ist dies ein deutlicher Hinweis auf den damals deutschen Charakter der schlesischen Bevölkerung. Erst im 17 Jahrhundert gelang es der erneuerten katholischen Kirche in der Gegenreformation mit Unterstützung des habsburgischen Staates die Abfallbewegung aufzufangen und den kleineren Teil der Gläubigen sowie zahlreiche verlorengegangene Kirchen und Kloster zurückzugewinnen oder wiederzuerrichten. Dabei wurden nicht immer nur missionarische pastoral-seelsorgerische Überzeugungsmethoden angewendet, sondern hier und da auch mit Verlockungen, ja selbst mit mehr oder minder starkem Druck, der bis zu Flucht und Auswanderung führen konnte, gearbeitet. Hatten in der Anfangsphase der Reformation der katholische Klerus, die Ordensgeistlichkeit und der katholisch bleibende Bevölkerungsteil Benachteiligungen und Bedruckungen zu erleiden, so waren es später die Evangelischen, die infolge des reichsrechtlich festgelegten Grundsatzes "cuius regio, eius religio" (Der Landesherr bestimmt die Religion seiner Untertanen) in ihrer freien Religionsausübung behindert wurden. Als sich die Schweden dann ihrer schlesischen Religionsverwandten annahmen und ins habsburgisch-kaiserliche Schlesien mit ihren Truppen eindrangen, trugen sie damit den großen 30-jährigen europäischen Macht und Religionskonflikt in das Oderland. Er suchte es schwer heim und dezimierte die Bevölkerung grausam. Die Katholiken lernten die siegreichen Schweden, die Protestanten das Kriegsglück der Kaiserlichen fürchten. Das von beiden kriegsführenden Parteien unterschiedslos ausgeplünderte Land, das nach alter Gewohnheit den Krieg ernähren musste, litt in jedem Falle und immer.

Die vielfältigen Spannungen, Unsicherheiten, Widersprüche und beklagenswerten Leiden der Zeit gerieten aber nicht nur zum Unheil, sie bewirkten eine tiefe Verinnerlichung und Vergeistigung, die in der Hochblute der schlesischen Mystik und Barockdichtung ihren sichtbaren Ausdruck fand. Mit klangvollen Namen wie Martin Opitz, Andreas Gryphius, Hofmann von Hofmannswaldau, Friedrich von Logau, Daniel Caspar von Lohenstein, Jakob Böhme und Angelus Silesius übernahm Schlesien für Jahrzehnte die Führung in der deutschen Literatur und wirkte anregend und beispielgebend weit über das deutsche Sprachgebiet hinaus. Da erst 1702 in Breslau eine Universität errichtet wurde, war die studierwillige schlesische akademische Jugend bis dahin gezwungen, die deutschen und europäischen hohen Schulen außerhalb des Landes zu besuchen, das Eigene wurde so immer wieder hinaus-, und das Fremde hineingetragen. Aufgeschlossenheit und Toleranz waren die natürliche Folge.
In Parallele zum Geistesleben nahmen bald nach dem 30-jährigen Krieg auch die Baukunst, Malerei und Skulptur im gegenreformatorischen Barock einen ungeahnten glanzvollen Aufschwung. Landauf landab entstanden bald prächtige Neubauten von ganzen Klosterkomplexen, von Kirchen und Kapellen, bald wurden bestehende Anlagen und Gotteshäuser in barocken Formen prächtig neu aus- und umgestaltet. Selbst die vergleichsweise bescheidenen evangelischen Friedens- und Gnadenkirchen zeigten ein anderswo ungewohntes barockes Gewand.
Auf politischem Gebiet schließlich fällt in die österreichische Zeit ein erster Versuch der Hohenzollern, sich in Schlesien festzusetzen. Dies geschah in einer Zangenbewegung gleichzeitig von Süden und von Norden her. Die fränkisch-ansbachischen Hohenzollern erwarben 1523 das südschlesische Herzogtum Jägerndorf sowie bald darauf die Pfandschaften Oderberg, Beuthen, Oppeln und Ratibor, also den größten Teil Oberschlesiens. Sie verloren ihn aber bis zum Ausbruch des 30-jährigen Krieges wieder, als sie von den Habsburgern abfielen und sich auf die Seite des Winterkönigs Friedrich von der Pfalz schlugen. Die brandenburgischen Hohenzollern schlossen mit Friedrich II von Liegnitz-Brieg-Wohlau 1537 einen Erbvertrag, der freilich vom habsburgischen Oberherrn des Herzogs aus guten Gründen nicht anerkannt wurde. Die Hohenzollern scheiterten so vorerst mit ihrem Doppelgriff nach Schlesien.
Als beim Regierungsantritt Maria Theresias 1740 in einer für Preußen günstigen, für Österreich ungünstigen Situation die Preußen in Schlesien einmarschierten gaben sie nach außen vor, nur alte Rechtstitel auf Schlesien zu realisieren. In Wirklichkeit jedoch handelte es sich bei diesem Vorgehen um einen machtpolitischen Schritt ohne verlässliche rechtliche Grundlage. Es bedurfte denn auch dreier verlustreicher schlesischer Kriege Friedrichs II. des Großen (1740-42, 1 744-45 und 1756-63), um den Wechsel des schlesischen Oderlandes vom katholischen österreichisch deutschen Süden zum protestantischen preußisch-deutschen Norden zu erzwingen. Dieser gewaltsame Wechsel - Österreich hatte Schlesien seinerzeit legitim erheiratet - erfolgte außerdem um den Preis der Teilung des Landes in das größere Preußisch Schlesien, das etwa sechs Siebentel ausmachte, und das kleinere Österreichisch-Schlesien, das nur ein Siebentel umfasste. Der Übergang an Preußen wurde von den vorwiegend in Niederschlesien ansässigen Protestanten freudig begrüßt, von den zumeist in Oberschlesien lebenden Katholiken dagegen beklagt und mit gemischten Gefühlen hingenommen. Durch den Verlust Schlesiens, der damals bestindustrialisierten, industriereichsten Provinz der Habsburgermonarchie, wurde Österreich spürbar geschwächt, Preußen aber so nachhaltig gestärkt, dass es Schritt für Schritt zur Vormacht in Deutschland aufsteigen konnte.
Sofort mit dem Beginn der fünften, der preußischen Periode (1724/63), setzte eine umfassende, durchgreifende strafte Neuorganisierung des schlesischen Landes im Geiste Preußens und seinen Staatsbedürfnissen entsprechend ein. Die österreichische Vielfalt, Individualität, Großzügigkeit und wohl auch Lässigkeit wich der preußischen Einheitlichkeit, Strenge, Korrektheit und Ordnung. Die Reste der alten ständischen Selbstverwaltung wurden beseitigt, dafür Kriegs- und Domänenkammern errichtet. Die preußische Kreiseinteilung mit dem Landrat an der Spitze löste die alte Weichbildverfassung ab. Die bisher frei aus Privatinitiative operierende Wirtschaft erfuhr eine kräftige und zielstrebige Forderung und Lenkung Die oberschlesische Industrie - in Ansätzen bereits in der ausgehenden österreichischen Zeit vorhanden - nahm mit staatlicher Hilfe und Planung einen gewaltigen Aufschwung zum zweitgrößten deutschen Industrierevier. Das Verkehrsnetz wurde zeit- und bedürfnisgerecht ausgebaut.
Für kurze Zeit schlug das nationale Herz Deutschlands in den Befreiungskriegen in Schlesien, von wo 1813 der Aufruf "An mein Volk" erging. Die liberale Bewegung, vor allem in Breslau, tat sich - trotz mancher Erfolge - bald schwer. Die Weberunruhen zu Beginn der 40er Jahre und die Revolution 1848/49 offenbarten wirtschaftliche Missstände und politische Unzufriedenheit. Der Kulturkampf (1872 1878) riss tiefe konfessionelle Wunden, die teils falsch, teils nachlässig behandelten nationalen und sozialen Probleme Oberschlesiens häuften unnötigen Konfliktstoff an. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war es zu spät trotz der im ganzen erfolgreich für Deutschland verlaufenen Volksabstimmung im Jahre 1921 mit 60 % deutschen Stimmen musste der wertvollste Teil des oberschlesischen Industriegebietes auf Veranlassung der Alliierten an das wiedererstandene Polen abgetreten werden. Die dadurch geschaffenen Probleme belasteten die Nachkriegszeit schwer, die 1933 in den Nationalsozialismus und 1939 in den Krieg mündete.
Auch die mutige konspirative, auf Freiheit und Selbstbestimmung gerichtete Tätigkeit des Kreisauer Kreises auf Gut Kreisau bei Schweidnitz und der ihm angehörenden Schlesier während des Zweiten Weltkrieges konnte dessen tragischen Ausgang nicht verhindern oder doch wenigstens abmildern. Schlesien wurde von der Roten Armee überflutet, ihr folgte die polnische Miliz. Stellvertretend für das gesamte deutsche Volk und die ihm angelastete Schuld mussten Millionen von Schlesiern mit den übrigen Ostdeutschen ihre angestammte, in Jahrhunderten harter Arbeit geschaffene Heimat verlassen. Der preußische Staat wurde 1947 durch alliierten Kontrollratsbeschluss formell aufgehoben.
Mit der Übernahme der Verwaltung Schlesiens durch Polen 1945 hat eine neue, sechste, polnische Periode der schlesischen Geschichte begonnen. Schlesien hat im Laufe der letzten 1000 Jahre im Wechsel reihum zu allen seinen Nachbarn (Böhmen, Polen, Ungarn, Österreich, Preußen) gehört und - in ihrem Interessenbereich gelegen - zugleich eine gewichtige Rolle in der deutschen wie der europäischen Geschichte, in die es unentrinnbar hineingebettet ist, gespielt. Es ist mehrfach zerstört und wieder aufgebaut, entvölkert und wiederbevölkert, verlorengegangen und wiedergewonnen worden. Wir sollten aus der Geschichte lernen historisch, d. h. über uns selbst hinaus in langen Zeiträumen zu denken, so wie es andere Völker auch tun, und wir sollten entschlossen, unbeirrt an unserer geschichtlichen Vergangenheit, unserem gemeinsamen kulturellen und politischen schlesischen Erbe festhalten, es pflegen und bewahren.

Professor Dr. Josef Joachim Menzel
http://www.schlesien-lm.de/html/schlesien%20in%20der%20geschichte.html









 
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