Nur wer das Gestern versteht, findet sich im Heute zurecht
  Flucht aus der Heimat
 




Schlesien, Tschechei, Österreich – und überall die Russen Eine schier unglaubliche Geschichte menschlicher Erniedrigung: Sie ist 13 Jahre, als sie mit ihrer Familie, Mutter, Vater, Onkel und Tante am 20.1.1945 ihr Dorf in Schlesien verlassen, eigentlich nur für kurze Zeit, bis die Rote Armee wieder zurückgeworfen sei. Doch es beginnt eine Flucht, die erst am 20.7.1945 im Schwarzwald endet. Von Russen verfolgt, geplündert, misshandelt, vergewaltigt (ihr Vater wird sogar erschossen), versucht der Treck die Grenze zu den US-Truppen zu schaffen, doch werden sie dort zurück geschickt: unter Schutz – sie könnten nach Schlesien zurückkehren. Sie landen in einem Lager, wo Russen ihnen die Gespanne, die Wagen, das meiste Gepäck abnehmen und sie dann im tschechisch-österreichischen Gebiet in einem Zug sich selbst und den Überfällen der russischen Soldaten überlassen. Nach Zwangsarbeit auf einem Hof in Österreich in sowjetisch besetztem Gebiet gelingt ihnen dann doch die Flucht in den amerikanischen Sektor und dann schließlich nach Deutschland. Ein viele Seiten starkes Stück Erinnerungen, das auch eine Anklage an unbarmherzige US-Militärs und feindlich gesinnte Österreicher enthält, aber auch die Menschlichkeit einzelner hervorhebt. Unsere Flucht aus Schlesien vom 20. Januar bis 20. Juli 1945 18. Januar: Parolen schwirrten durchs Dorf. Wir gingen hindurch und besahen uns die Wagen der Einzelnen, wie sie zurechtgemacht waren. Alles kam uns etwas abenteuerlich und unwirklich vor. Niemand glaubte ja an den Ernst der Lage. So war es auch bei uns zu Hause. Vatel meinte immer, es müsste etwas kommen, was die Lage ändern, die Front wieder zurücktreiben müsste. So war auch unser Wagen noch nicht zurechtgemacht; alles war wohl etwas unruhig, aber ging seinen alten Gang weiter. Ich hielt mich viel in der Bürgermeisterei auf, welche uns schräg gegenüber lag. Der Bürgermeister, der auch noch Ortsgruppenleiter war und alle obersten Stellen vertrat, bekam die ersten Meldungen, die ich dann nach Hause trug. Boten kamen und gingen. So mussten die Meinen auch langsam an den Ernst der Lage glauben und Vorbereitungen treffen. 19. Januar: Am späten Nachmittag wurde ein Anhänger des Lastwagens aus dem Schuppen geschoben und vorn am Haus aufgestellt. Der Franzose hatte den Auftrag bekommen, selbigen mit einer großen wasserdichten Plane zu bedecken. Die Sache wurde recht provisorisch gemacht und musste schnell gehen. Unglücklicherweise war es so kalt (20 Grad Kälte), dass wir den Traktor nicht benutzen konnten, das Rohöl wäre eingefroren. Auch der Lastwagen war in der Werkstatt noch in Reparatur. So blieben die Pf erde, auf welche wohl Verlass war. Meine Sachen waren durch meinen Plan, zum 01.02.45 auf ein Gut als landwirtschaftliche Elevin zu gehen, alle schon gepackt. Ich hatte wenig Arbeit und unterstützte nur Muttel noch in ihrem anderen Kram. Viel durfte ja nicht mitgenommen werden, was auch ausdrücklich bekanntgegeben wurde. Auf unseren Wagen kamen noch drei Familien: die Schweizer-Familie, dann eine aus dem Armenhaus, meine Tante Herta und deren Kram und der unsrige. Dies mussten zwei Pferde ziehen. Ein Wagen mit zwei Pferden ging in die Stadt, um dort Sachen fortzuschaffen, einer für den Auszügler, so waren drei Gespanne verteilt, jedoch nicht zu unserem Nutzen. Die nötigsten Sachen konnten jedoch untergebracht werden, was meist Kleidungsstücke und Hausgerät war. Außerdem Vatels Bürokram, der mehr als umfangreich war. Bis spät in die Nacht arbeiteten wir, holten Gläser Eingemachtes rauf, machten sie auf, kosteten mal und ließen sie stehen. Nichts konnte mitgenommen werden, es wäre zerfroren. Es war ein leibliches Durcheinander, und die Russen werden an der Ordnungsliebe der Deutschen gezweifelt haben. Dann legten wir uns auf die ausgeräumten Betten und wollten schlafen. Doch es ging nicht, die Unruhe war da, der Himmel war rot, und die Luft erzitterte immer wieder durch den Donner der Kanonen. 20. Januar: Ich war wieder beim Bürgermeister. Um drei Uhr bekamen wir den Befehl, alles fertigzumachen, die Pferde anzuspannen und um 4 Uhr zum Aufbruch bereit zu sein. So bekamen wir die Pferde vor den Wagen. Der Anhänger war vorn mit einer Deichsel und Vorderachse eines Kastenwagens verlängert worden, die Pferde konnten so gut vorgelegt werden. Die Besten bekam unser Wagen. Das andere Gespann in der Stadt war bereits fort, ein Pole diente diesem als Kutscher. Das zweite Gespann ging gleichfalls mit einem Polen ins Dorf, und unserem Gespann war ebenfalls ein Pole zugeteilt. Ich selbst musste achtgeben und das Bremsen besorgen, denn der Anhänger hatte nur eine Auflaufbremse, welche wohl für einen Lastwagen war und auf die schwache Gewalt der Pferde nicht parierte. Ein Holzbalken sollte so vorläufig als Beihilfe zum Bremsen dienen. Ein Theater - kaum zu glauben - setzte an, als die Fohlen an unseren Wagen gebunden werden sollten. Mit Fesseln mußten erst mal die Halftern angelegt werden. Nur so konnten sie gebändigt werden. Nach langem Hin und Her ging es endlich, man hatte sie fest. Ein Ruck befreite sie und fort waren sie ins Dunkel auf nie mehr Wiedersehen. Die Unruhe hatte sich auf die Tiere übertragen. Vatel und alle Männer - auch mein Onkel - mussten noch im Dorf zurückbleiben, um das Vieh loszubinden, wenn es wirklich ernst würde. So zogen wir um 4 Uhr los. Ich hatte mein Rad geschnappt, meinen Anzug angezogen, den Pelz drüber und die Pelzmütze um, fror nicht, doch die Aufregung brachte mich dazu. Der Abschied wurde mir nicht schwer. Warum auch, sollten wir doch in wenigen Tagen wieder zurück sein - es sollte ja nur vorsichtshalber mal geräumt werden. Viele Stunden zogen wir recht vorsichtig. Als uns der Wagen das erste Mal bald abrollte, vor Aufregung von mir, musste ich mich mit dem Bremsen befassen. Mein Rad musste ich längst abgeben. Der Schnee knirschte, die Pferde glitten trotz scharfem Beschlag aus und lagen zum Teil auf den Bäuchen vor Anstrengung. Sie waren doch gut im Futter, und die Anstrengung machte ihnen nicht viel aus. So verging der 20. Januar. Bis zum Nachmittag waren wir nur 16 km weitergekommen. Kurz vor Mulatschitz musste Halt gemacht werden. Dort prügelten sich zwei Treckführer fast wegen dem Vorfahrtsrecht. Die Straßen waren verstopft. Rechts von uns wurden die Werke und Fabriken vor Markstätt in die Luft gesprengt, die russischen Flieger kreisten über uns, taten uns doch nichts. Auch Vatel war noch nicht gekommen. Doch dann ging es weiter. In Mulatschitz wurde Nachtquartier gemacht. Das erste Massenquartier. Ein Schloß diente als Unterkunft. Zirkus Busch hatte das Dominium gepachtet und hatte dort Tiere untergestellt. Wir zogen ein, und selbiger zog mit seinen Kamelen und weiß ich noch was alles aus. Noch am selben Abend mussten sich die kriegsgefangenen Soldaten sammeln und wurden abtransportiert. Es fiel mir schwer, mich von unserem Franzmann zu trennen, er hatte mir immer viel geholfen. So wurde er mit Esswaren versorgt, gab mir noch seine Heimatanschrift und zog ab. Nun war ich allein mit Muttel bei den Wagen, denn der Zweite war dazugekommen und auch er mußte besorgt sein. Die Männer waren noch immer - nicht gekommen. Die Nacht im Schloß war auszuhalten, wenn sie mir damals auch furchtbar vorkam. Doch das Schloß war noch gut beheizt. Alles war vorhanden, so machte jeder es sich so bequem wie möglich. 21. Januar: Am nächsten Morgen ging es weiter. Wir wollten an diesem Tage die Oder überschreiten, es war höchste Zeit. Gegen Abend kamen wir an derselben an. Auf der Brücke in Ohlau überholte uns Vatel mit seinem Personenwagen. Ich freute mich sehr. Er nahm Muttel mit, und sie fuhren gleich weiter in das Quartier, welches wir für einige Tage beziehen wollten. Drei Tage sollten wir bis dahin noch zu ziehen haben. In Ohlau mußten wir unser erstes totes Kind von einem Jahr lassen. Es war auf unserem Wagen entweder erstickt oder erfroren. Es gehörte einer Polin. In dem Wagen selbst saßen zwei alte Leute und zwei Kinder. Alle anderen mußten laufen, so auch ich. Ich konnte mich deshalb nicht um das Wohlergehen der Insassen kümmern, es hätte auch dazu nicht gereicht. So zogen wir, mein Onkel war langsam nachgekommen und nun auch bei unseren Wagen, mehrere Tage durch leere Dörfer, machten Quartier und nahmen Richtung Schweidnitz. In der Nähe sollten wir - Leutmannsdorf - Endstation machen, bis es wieder zurückginge. Da wir aber einen furchtbar klugen Treckführer hatten, Vatel nicht mehr bei uns war, weil er den kürzesten Weg gewählt hatte, um uns bereits eine Wohnung zu besorgen, führte besagter Treckführer, unser Herr Bürgermeister, uns über den Zobtenberg und in dermaßen Schneeverwehungen und in bergige Straßen, dass unser Wagen mit zehn Pferden nur noch vorwärts gebracht werden konnte. Natürlich kamen Verstimmungen auf. So waren wir acht Tage unterwegs, und ich war so abgekämpft, daß ich, als wir endlich unser Ziel vor Augen hatten und Muttel uns entgegen kam, ihr weinend entgegen lief und dem Himmel dankte, nun nicht mehr alles auf mir zu haben. In Leutmannsdorf blieben wir drei Wochen, hatten dort eine kleine Küche und ein Zimmer inne. Nun waren wir auf verschiedenen Umwegen alle zusammengekommen. Unser Dorf war längst von Russen besetzt. Schon am Tage nach unserem Abzug waren selbige dort eingezogen. Das Vieh war alles abgebunden worden, die Scheunentore aufgemacht, damit es etwas zu fressen vorfand. Etwas davon konnten wir wohl merken, denn oftmals kam querfeldein ein Rind blökend auf uns zugelaufen. Die armen Tiere waren noch schlimmer dran wie wir. Ja, so waren wir jetzt vier Frauen und drei Männer auf die Küche und das Zimmer zu verteilen. Das konnte freilich nicht gut gehen. Die Frauen bestanden aus Muttel, Tante Hertel und Muttchen, einer alten Dame aus Berlin, welche zu uns evakuiert war, und mir. Während die Männer aus Vatel und zwei Onkeln bestanden. Die alte Dame wurde bald bei den Wirtsleuten untergebracht. Die anderen mussten zum Teil im Bett, zum Teil auf der Erde gastieren. Natürlich ging auch das nicht. Die Leutchen waren freilich noch bissel verwöhnt; der eine schnarchte, der andere machte dieses. So zogen Vatel, ich und noch ein Onkel aus, in ein Zimmer mit Doppelbett und Couch. Nun ging es. Unser Wagen bekam eine neue Bremse, welche nun von mir durch Drehen einer Kurbel betätigt werden musste, freilich mit dem gehörigen Feingefühl, denn die Bremsen durften nicht zu krass anziehen. Es riss dadurch den Pferden an den Strängen und selbige wurden nervös und glitten aus. In Leutmannsdorf ließen wir unseren zweiten Toten. Die Dame aus Berlin, Muttchen, starb an einer "Magenerkältung". Wir wissen nicht an was, denn der Arzt kam nicht zu ihr. Er war der Meinung, alte Leute müssen sterben. Nach ungefähr zwei Wochen wurden wir herangeholt, um Panzersperren auszugraben, Straßen zu verschanzen und weiß ich noch was alles. Täglich kamen deutsche Truppen, nein, Mongolen und andere durch die Ortschaft, und wir wussten längst, daß wir nicht mehr zurück konnten. Auch Juden wurden getrieben. Sie kamen von Oberschlesien. Einer lag erschossen vor und einer erschossen hinter dem Dorf. Ich begegnete ihnen. Sie taten mir leid, doch durch ihre frechen Äußerungen glaubte ich dann doch, daß es etwas sein musste, dass man die Leute so festhielt. Es waren schöne drei Wochen in Leutmannsdorf. Opa holten wir zu uns. Durch Zufall hatten wir erfahren, dass er in einem Nachbardorf lag. Er blieb bei uns. Ein Onkel wurde zum Volkssturm eingezogen und musste fort. So kam einer, der andere ging, jeder Tag brachte seine Ereignisse. Februar: Im Februar ging es weiter. Ganz plötzlich kam es, viel zu lange waren wir geblieben. Wohin es ging, wurde nicht gesagt. Der eine sagte auf Sachsen zu, der andere auf die Tschechei zu - nun, es war ja egal, wo wir nun hinkamen. Langsam merkten wir es doch. Die Gegend wurde immer bergiger. Wir kamen nach Braunau. Von dort ging es in die Tschechei hinein. Tag um Tag, sogar Nächte zogen wir, es musste schnell gehen. In der Tschechei begegneten uns die Leute feindlich, wagten aber noch nicht, den Mund aufzumachen. Braunau, von dort Scheehun bei Podybrad. In Scheehun lagen wir wieder einige Tage. Die Pferde waren durch die Witterung alle krank geworden und hatten die Druse. In Scheehun bekamen wir alle zusammen einen Saal zugewiesen. Das Gasthaus lag romantisch schön, ringsum floß Wasser, und es floß auch an den Wänden des Saales hinauf. Die Massenlager waren wir ja schon gewöhnt. Es könnte ja nicht schöner kommen. Ich schlief meist unter den Leuten. Dagegen konnten Vatel und Muttel es nicht über sich bringen. Sie blieben immer im Wagen. Dort war längst auch alles anders geworden. Auf dem ganzen Kram waren provisorisch zwei Betten aufgeschlagen worden, Raum gab der Wagen ja genug. Es war wohl kalt, doch gesünder wie im Saal. Ich dagegen hatte keine Pein. Wenn ich meine Decke hatte, den großen Pelz, den Fußsack, mich da hineinverkroch, schlief ich in ein paar Minuten, und nichts auf der Welt konnte mich stören. Die Kinder freilich machten manchmal einen jämmerlichen Krach, Kranke stöhnten, doch ich schlief. Von Scheehun ging es bald weiter nach Tschaslau. In einem kleinen Dorf bei dem Städtchen wurde unser Treck untergebracht, der Name ist mir entfallen. Dort trafen wir das erste Mal wieder auf regelrechte deutsche Truppen. Horuschitz hieß das Dorf. Wir bekamen dort eine kleine Küche zugewiesen. Vatel ließ sofort zwei Betten übereinander machen. Die reichten aus. Muss schon sagen, ein schönes Leben führte ich zu Anfang dort. Mein Großvater hielt den Treck nicht mehr aus. Er war von uns im Sudetenland in einen Zug gesetzt worden. Selbiger war natürlich nur für Kinder und alte Leute. Er war mit diesem nach Bayern abtransportiert worden. So waren noch Onkel und Tante, Vatel, Muttel und ich. Bei den Pferden hatten wir Zuwachs bekommen, zwei Fohlen. Mir fing die Sache dort langsam an langweilig zu werden, und ich wollte etwas zu tun haben. Da wir eine Schreibmaschine bei uns hatten, hat mich Vatel bald auf einer Flüchtlingsstelle in Tschaslau untergebracht. Nahm dort ein möbliertes Zimmer. Bald kam eine gute Bekannte von mir auf derselben Stelle an, und so arbeiteten wir beide tagsüber zusammen, und abends gingen wir bummeln. Es war eine wunderschöne Zeit, noch sorglos. Denn Gedanken machte ich mir wirklich noch keine. Genau weiß ich nicht, wie lange diese Zeit währte. Durch meine Arbeit dort hatte ich den ungefähren Überblick über den Stand der Dinge. Ich wusste ungefähr, welche Trecks sich aus dem Staube machten und was noch in unserer Gegend lag. Als nun einer nach dem anderen auf die bayerische Grenze loszog, setzte ich alles daran, Vatel zu überreden, es doch nachzutun. Aber er verließ sich auf das Wort unseres Treckführers. Es galt nun einmal. Nachdem ich ihm aber dartat, dass nur noch wir als einziger Treck in der Gegend Tschaslaus lagen, zogen wir gegen die Anordnung des Treckführers mit unseren drei Wagen los. Es war Sonntagmorgen. Ich erwartete die Wagen in Tschaslau mit meinem Rad. Nun fing eine ruhelose Zeit an. Wir treckten gut. Es war wärmer geworden, ging auf Ende April zu. Ich weiß die Strecke nicht mehr genau. Jedenfalls zogen wir auf Tarras zu, machten kurz danach Station, bekamen von zurückflutenden deutschen Soldaten noch einen Zentner Butter, fuhren wieder weiter und übernachteten in einem Gasthaus. Die Gegend war so unruhig, die Schießereien zu groß, daß wir aus dem Wagen in das Haus gingen. Dann zogen wir abends in eine kleine Stadt ein. Hitlerfahnen auf Halbmast - Hitler war tot, es traf uns wie ein Schlag. Nicht dass er tot war, nein, nun waren wir verraten und verkauft. Noch am selben Abend wollte man uns den PKW beschlagnahmen, man brauchte ihn zu einer dringenden Fahrt. Vatel konnte nicht mehr, es regnete in Strömen, die Straße war vereist, denn wir waren ziemlich hoch. So übernahm ich die Fahrt. Gern ließ Vatel es nicht zu, aber es ging um den Wagen. Um 2, 3 Uhr fuhren wir ab. Ich merkte wohl, dass sich die Männer nicht wohl bei meiner Fahrerei fühlten. Es ging wirklich etwas unglücklich. Ich war aufgeregt und die Sichtverhältnisse nicht günstig. Außerdem war die Stimmung eine schwüle. Der Weg ging in Serpentinen durch Wald in ein Dorf und in ein weiteres Dorf, dann wieder zurück durch die Stadt in ein anderes Dorf. Um 4 Uhr kehrten wir ein und bekamen Milch mit Brot und Schinken. Nun war alles froh, ich hatte mit den Männern gefährliche Partisanengegend passiert. Mir fiel das Herz in die Hose, als ich dies hörte, aber es war ja alles gut abgelaufen. Ich war froh, es lässt sich dies denken, hatte doch Vatel längst bereut, mich fahren gelassen zu haben. Am Morgen ging es weiter. Es überholten uns laufend PKWs mit reißausnehmenden Leuten. Wir wussten wohl, woran wir nun waren. Langsam sahen wir auch Spuren von Kämpfen. Zerstoßene Panzer und kaputte Autos oder mutwillig zerstörte Fahrzeuge. Alles Zeugen einer Flucht. Wir kamen als Nachzügler, wussten, dass wir zu spät kamen, hofften aber, noch durchzukommen. Längst sollte ich - wie alle anderen Autos - mich mit Muttel und Tante in den PKW setzen und mit allen Wertsachen voranfahren, um an der Grenze zu versuchen durchzukommen. Doch Muttel wollte nicht, vielleicht hätte ich es getan. Doch wir wären auseinander gerissen worden, und das wollten wir nicht. So zogen wir auf Moldau-Tein zu. Der Tag war so schön, das schlimme Wetter war vorbei. Wir kamen auch wieder in die Ebene. Die Straße war wie ausgestorben, es mutete komisch an. Vatel meinte, er wolle vorfahren und tat es auch. Er kam nicht zurück. Als wir kurz vor der Stadt waren, wurden wir angehalten. Als erstes wollte man uns die Pferde ausspannen. Wir konnten uns jedoch durchsetzen, sie blieben dran. Dafür mussten wir die Räder und die Fohlen dort lassen. Dies taten wir, wollten wir doch weiterkommen. Als Begründung wurde angegeben, die deutschen Soldaten hätten so viele Räder gestohlen, und wir müssten einen kleinen Teil dazu beitragen und dies gutmachen. Zum anderen nahm man uns den Personenwagen. Man hätte Vatel, weil er den Mund nicht halten konnte, fast erschossen. Nun, es ging noch mal gut ab. Nachdem man uns das erste Mal nach Waffen durchsucht hatte und Verschiedenes mitgehen ließ, durften wir weiterfahren. Nun begann, was wir eigentlich längst geahnt. Wir hatten es noch gut getroffen. Moldau-Tein wartete auf den Einzug der Russen. Sie sollten längst da sein. Wir durchzogen die Stadt und hatten nach dieser einen ziemlichen Berg zu erklimmen. Die Pferde waren längst ausgemergelt, und so musste dies immer vier- oder sechsspännig geschehen. Längst hatten wir uns an das Auf und Nieder der Landschaft gewöhnt. So wurde einer der Wagen gleich hinter der Stadt stehen gelassen. Auf ihm saß eine Frau mit ihren Buben. Unser großer Wagen sollte zuerst raufgezogen werden. Dies war geschehen, und der Onkel war mit den Pferden gerade wieder auf dem Wege den zweiten Wagen zu holen, als wir vom Berge aus, auf dem wir jetzt waren, die Russen in Kolonnen auf die Stadt zukommen sahen. Es war auf einer anderen Straße. Noch hofften wir, dass sie unsere Straße nicht passierten, doch es war nicht so. Ich hatte mich in den Wald verkrochen und sah durch die Bäume. Vatel und Muttel saßen ruhig an dem Straßengraben. Die Russen kamen auf Lastwagen mit tschechischen Frauen, die sich wie sinnlos gebärdeten. Es war ein Bild, als wenn die Menschen wild geworden wären. Vatel sagte mir, ich sollte aus dem Wald herauskommen. Er lag voll Munition und es war gefährlich. Ich setzte mich neben die Meinen. Nicht lange, dass ich saß, kam ein Kerl, kein Russe, mit einer Pistole im Anschlag auf uns zu und untersuchte uns - Hände hoch - nach Waffen. Dann unseren Wagen. Die Russen fuhren in der Annahme, wir seien Tschechen, an uns vorbei. Doch noch einmal sollte ich Herzklopfen bekommen. Die tschechischen Weiber hatten längst rausbekommen, daß wir Deutsche waren. Sie hetzten die Russen auf, indem sie auf uns wiesen und Hitlerschweine und ähnliche Ausdrücke gebrauchten. Es wurde aber keine Notiz davon genommen. Lediglich ein Russe kam zu uns und fing mir an zu erzählen, was die Deutschen ihm alles kaputtgemacht hätten. Komischerweise bediente er sich der deutschen Sprache. Als Vatel dann meinte, dass wir dies nicht wollten, jedoch zugegeben Deutsche seien, drehte er uns stillschweigend den Rücken zu und verließ uns. Die Weiber jedoch kamen auf .uns zu und spuckten aus. Ich gebe zu, eine Heidenangst gehabt zu haben. Eine hob sogar einen Stein, der nicht klein war, und setzte an denselben auf uns zu werfen. Ich muss wohl ein arg komisches Gesicht geschnitten haben, denn sie sah mich an und ließ ihn wieder fallen. In der Zeit, es waren mindestens zwei Stunden vergangen, war mein Onkel mit dem zweiten Wagen angekommen. Derselbe sah wüst aus. Der Pöbel hinter der Stadt konnte da mehr heran. Wir waren ja schon weiter vom Schuss gewesen. Man hatte den Wagen umgekippt und mit den, Rädern nach oben in den Graben geworfen; freilich auch nicht versäumt, das Nötige wieder fortzunehmen. Die Frau mit den Jungen hatte ein vernünftiger Tscheche in die Scheune eingeschlossen, damit der Pöbel sich nicht auch da noch vergriff. Als nun aber alles beisammen war, zogen wir weiter, unter der ständigen Angst, von den Russen erkannt und geplündert zu werden. Aber es waren ja alles erst motorisierte Truppen und dadurch noch wenige Russen in der Gegend. So blieben wir noch eine Zeit verschont. Ja, wir zogen noch Tage, wie viele weiß ich nicht. Auch die Einzelheiten sind mir entfallen. Ich weiß nur, viele, aber harmlose Zusammenstöße hatten wir noch mit den Russen. Wir kamen durch bergige, dreckige und trockene Gegenden, zogen, zogen, zogen und kamen so langsam auf die bayerische Grenze zu. Ungefähr waren wir noch 20 km vor der Grenze, da war Schluss - sie war gesperrt. Bis dahin war alles gut gegangen. Ungefähr am 10. Mai: Wir zogen in ein kleines Dörfchen ein. Die Leute waren schon deutschfreundlicher, sie gaben freundlich Auskunft und sprachen auch bereits durchschnittlich Deutsch. Außerdem hieß es, wir wären nun bei den Amerikanern. So waren wir froh, noch so glimpflich vor den Russen davongekommen zu sein. Aber es kommt oft anders wie der Mensch denkt. Es war, als ob uns die Russen auf den Fersen gefolgt wären. Wir wussten wohl, dass wir nun erst einen Sammelplatz passieren mussten, und zogen bereitwillig auf diesen zu. Ich war inzwischen sehr nervös geworden, begleitete ich doch ständig den Wagen und durfte ihn keine Minute außer Acht lassen wegen des Bremsens. So zogen wir, Vatel und Muttel waren bereits vorangegangen, einen kleinen aber steilen Berg hinauf. Wir fuhren, da die Straße keine Haupt-, sondern eine kleine Provinzstraße war, mitten auf der Straße. Da kam ein großer Lastwagen mit Menschen beladen um eine Kurve. Der Wagen kam in großem Tempo auf uns zu. Mit einem Ruck hatte ich die Bremse festgerissen, wusste ich doch, dass er an uns nicht vorbeikam und auch den Wagen unmöglich zum Stehen bringen konnte. Ich sprang von der Gabel in den Graben und lief aufs Feld. Das Auto aber fuhr an der anderen Seite in den Graben, schlug, da es an einer Einfahrt anprallte um, und die Menschen kamen zwischen unserem Anhänger und dem Auto zu liegen. Es gab viele Verletzte. Den Pferden passierte nichts. Ich aber lief was ich konnte, kümmerte mich um nichts mehr, auf den Sammelplatz. Dort setzte ich mich hin, und Vatel und Muttel mußten das andere tun. Ich hatte im Moment des Unglücks das Gefühl, als ob nun alles aus wäre, wir alle verloren wären. Das Auto hatte den roten russischen Stern, und das war das Zeichen, das nichts Gutes verhieß. Doch der Lagerplatz stand wirklich noch unter amerikanischer Kontrolle, es passierte nichts. Ein deutscher Feldarzt wurde gerufen, und die Sache war erledigt. Der Lagerplatz war voller Soldaten. Wir trafen auch wieder Flüchtlingswagen an, die ersten nach einer langen Zeit. Es bedeutete viel, nach Tagen wieder eigene Leute zu finden, vor denen man keine Angst haben muss. Es waren schöne Tage, die wir verbrachten. Vatel und ich gingen immer baden. Er besorgte Futter für die Pferde und tauschte Geld ein, etwas, was wohl verkehrt war. Bald aber merkten wir, daß die Amerikaner sich zurückzogen, sahen vereinzelt russische Autos kommen, die russische Offiziere als Insassen hatten. Dann auf einmal waren die Amis ganz fort und nur noch Russen und Tschechen am Ruder. Das Bild änderte sich darum zusehends. Wir mussten auf die andere Seite der Straße; d.h., wurden von den deutschen Soldaten getrennt. Das war freilich für uns kein gutes Zeichen. Tschechen liefen herum, plünderten unsere Wagen. Die Soldaten wurden misshandelt, man schlug sie vor unseren Augen. Einzelne führte man fort, Einzelne wurden entlassen. Jedenfalls stand es für uns fest, so bald wie möglich weiterfahren zu müssen. Wir mussten jedoch die Erlaubnis haben. 14. Mai: Am Nachmittag wurden die Soldaten von Kosaken abgeholt. Ein Bild, nicht zum wiedergeben. Zu Pferde und mit Peitschen wurden sie zusammengetrieben und so auf das Innere der Tschechei zu abtransportiert. Noch am gleichen Nachmittag kam ein russischer Offizier zu uns und sprach und redete uns vor, wir sollten auch umdrehen und auf Schlesien zufahren, wir kämen wieder nach Hause. Vatel sprach ihn gleich wegen unserer Weiterfahrt an. Er erlaubte es uns gleich, freilich glaubte er, wir führen in Richtung Heimat. Das Bleiben auf dem Platz war rein unmöglich geworden. Man schoss mit Leuchtmunition auf unsere Wagen. Wir waren ständig in Sorge, die Planen würden anbrennen. Auch waren viele ehemalige Waffen-SSler untergekrochen, denen wir wohl helfen wollten, die uns aber stark gefährdeten. Am Abend des 14. Mai mussten wir weg. Es war höchste Zeit und wir zogen so auch. 15 km weiter sollten die Amerikaner liegen. Zu diesen wollten wir auf jeden Fall durchkommen. Es war 9 Uhr, als wir anspannten und vierspännig den Lagerplatz verließen. 15. Mai: Die Gegend war bergig und wir konnten schlecht vorwärts kommen. Wir mussten oft halten und doppelspännig hochziehen. 2 km hatten wir hinter uns, als Vatel den Entschluß faßte, an einem Wäldchen zu halten und zu übernachten, drei km vor der amerikanischen Wache. Wir hatten es uns schon gemütlich gemacht, hatten Decken-Betten rausgeholt. Ich fühlte mich auch ziemlich sicher. Es waren nun fünf Männer, nein, sechs bei uns, doch eine Unruhe ließ uns nicht schlafen. Wir fassten den Entschluss weiterzufahren, luden alles wieder auf. Es war nachts 1 Uhr und wir fuhren die letzten drei km weiter und reihten uns an Wagen vor der amerikanischen Wache. Nun war ich und freilich wir alle froh. Mein Onkel lief gleich vor. Die Soldaten gleichfalls. Vatel, Muttel und Hertel legten sich mit leichtem Herzen in den Wagen schlafen. Ich nahm eine Decke und ein Kissen, genauso auch der Onkel, rollte mich ein und schlief im Straßengraben auf der entgegengesetzten Seite der Straße, wo der Wagen stand. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Im Wagen zu schlafen hatte ich mir gar nicht angewöhnt, durfte es auch nicht, es war zu gefährlich. Aber wie sollten wir uns getäuscht haben. Es war kaum eine halbe Stunde vergangen, war gerade bissel ruhig geworden, als ein Auto, wenig von uns bemerkt, vorbeifuhr, wohl aber bemerkt wurde, als es an der Wache umdrehte. Zwei Mann sprangen heraus und auf unseren ersten Wagen von der jungen Frau mit dem Jungen, fanden das nicht was sie suchten, und sprangen in unseren großen Wagen. Ich war hell wach, mein Onkel, der mir zu Füßen lag auch, und hörte meinen Vater sagen: "Warum laßt ihr uns nicht einmal hier in Ruhe, werde es der Wache melden". Der Russe antwortete auf deutsch: "Erschieß doch das deutsche Schwein" und noch paar Worte. Vatel sprach nochmal "Schieß doch nicht, ich hab Euch doch nichts getan", doch schon knallten drei Schüsse und die zwei Mann sprangen vom Wagen und fast gegen meinen Onkel, der aufgesprungen war. Ich mit, legte mich aber in dem Moment wieder, als die Taschenlampe nach meiner Richtung hin suchte. Sie sprangen in den Wagen und fuhren davon. Im Wagen war alles still, Tante sagte nur in die Stille: „Sie werden doch den Hubert nicht erschossen haben?" Da sprang ich auf und auf die Gabel des Anhängers, Onkel war zur Wache gelaufen, im Moment war ein Auto da. Man trug Vatel aus dem Anhänger. Muttel und ich fuhren mit. Er wußte, daß er nicht mehr zu retten war. Sagte noch "Kommt gut nach Hause", er wäre gelähmt bis zur Hüfte, ich sollte nicht so weinen, dann sprach er nicht mehr. Man war bald im Krankenhaus. Es war eine winzige Wunde, die man sah. Kaum zu glauben, daß sie tödlich sein sollte. Was danach war, weiß ich kaum, kann mich nicht erinnern. Nur, daß ich im Krankenhaus auf der Treppe saß, ewig, dann aber allein zu der Wache und zum Wagen zurückging; dass ich im Graben lag, den ganzen Tag, gegen Abend wieder nach dem Krankenhaus ging, dort Muttel an Vatels Bett fand. Vatel lag im Einzelzimmer, er war ohne Bewusstsein, erkannte mich nicht mehr. Man hatte ihn trotz allem operiert, es war aber keine Hoffnung vorhanden. Nun löste ich Muttel ab, sie war nun auch nicht mehr fähig, sich auf den Füßen zu halten. Die ganze Nacht saß ich am Bett. Es war furchtbar, es ist nicht zum wiedergeben, der Lebenswille Vatels, doch um drei Uhr starb er. Muttel war nicht in der Lage sich aufzurichten. Ich war allein, und wenn jemand sagt, er hat vor dem Tod Angst, so muss ich ihm widersprechen. In diesem Augenblick, ja in den Stunden an Vatels Bett, war es nur, als wäre es gar nicht ich. Ich sah und hörte, doch so, als ginge es mich nichts an. Eine Starre, die auch noch den folgenden Tag anhielt, bis ich Erde auf Vatels Sarg werfen sollte. Da erst löste sich alles, und Muttel war noch in der Lage, mich zu trösten. Nachdem mein Vatel gestorben war, war es unser beider Bestreben, ihn noch einigermaßen zur Ruhe zu betten. Wir besorgten Totenwäsche, auch einen Sarg und Blumen. Prachatitz war ja eine sudetendeutsche Stadt und darum bekamen wir’s. Wir waren so froh, wenigstens dies noch für ihn tun zu können. Wir zwei waren zu allem allein gewesen. Den Rest der Nacht hatte ich im Krankenhaus geschlafen - und ich habe geschlafen. Die Einsargung war noch am Morgen erfolgt und alles erledigt. Den Totenschein bekamen wir, und so sollte die Beerdigung am folgenden Tag sein. 16. Mai: Nachmittags wurde Vatel auf dem Friedhof in Prachatitz zur letzten Ruhe getragen. Ein katholischer Pfarrer sprach ihm die letzten Worte. Ein Chor sang, was, weiß ich nicht, doch war es ein schönes Lied. Dann gingen wir zum Totengräber, gaben ihm eine Summe zur Pflege des Grabes und gingen zum Wagen. So waren Muttel und ich binnen zwei Tagen alleine und ließen schon eine Stunde später Vatel zurück um weiter, nein, zurückzuziehen. Was es für uns bedeutete, das wusste ich schon vom ersten Augenblick an, denn Vatel war uns, nein allen, ein Vorbild. Es gibt wohl keinen, der sagen kann, dass er je einen übers Ohr gehauen oder ihn übervorteilt hat. Doch er ahnte, dass er einmal so früh fort muss. Als wir fort fuhren und aus dem Tor zu Haus zogen, sagte er: "Wenn ihr vielleicht zurückkommt, ich sehe alles nicht mehr wieder..."; oder er kam zu mir und meinte "Gretel, sieh Dir alles an, nie kann der Mensch alles. Wenn ich mal nicht mehr bin, bist Du in der Lage, allein vorwärts zu kommen." Es war oft eine harte Schule, doch er hat es nur gut gemeint. Vatel war mir zuletzt nicht mehr nur Vater, nein, wir arbeiteten zusammen und konnten uns alles sagen. Auch ich, und ob ich es tat, wenn mir was nicht recht schien. So ließen wir den dritten Toten, letzten und liebsten zurück. Als wir vom Friedhof kamen, sahen wir schon von weitem Treckwagen stehen. Näher gekommen, erkannten wir die Wagen unserer Gemeinde. Sie kamen bereits von der Grenze zurück. Waren damals von Horuschitz bald nach uns aufgebrochen, in Lehnarschen auf die Grenze zu gefahren, hatten dieselbe jedoch gesperrt vorgefunden und kamen nun wieder um. Man hatte sie nicht durchgelassen und mit der Weisung zurückgeschickt, sie kämen wieder nach Schlesien. Auf ihre Fragen bezüglich der Russen hatte man ihnen versprochen - die Amerikaner -, sie würden unter amerikanischem Schutz bis Schlesien geleitet und Schlesien würde eine amerikanische Kolonie werden. Dieses Märchen erzählte man uns vor und überredete uns, umzudrehen und mitzukommen. Einflechten muss ich, dass uns von den Amerikanern nach diesem Vorfall angeboten worden war, unter Zurücklassung der Wagen und Pferde die Grenze zu überschreiten. Das Gepäck hätte man uns mitnehmen lassen. Nachdem wir aber nun von unseren Leuten diese Wunderdinge vernahmen, entschlossen wir uns, lieber mit unseren Leuten mitzufahren. Waren wir zwei doch nun allein und suchten einen Halt. Wir hatten in Prachatitz sämtliche Kutscher abgeben müssen. Es waren Polen, die sollten nach Polen zurück. Es sollten so genannte zwangsverschleppte Leute sein, was natürlich nicht stimmte, denn sie waren froh, bei uns Arbeit und Brot zu haben. Ich zweifle auch daran, daß sie jetzt ein besseres Leben haben. So wurden die Wagen, der große von einem Soldaten, der andere von Onkel und der Dritte wieder von einem Soldaten kutschiert. Mein Kutscher war kein besonders hervorragender, wünschte ich doch oft selbst die Zügel in der Hand zu haben. Er machte die Pferde nervös. Ich fuhr dann auch streckenweise selbst, so auf ebenen Straßen, wo ich nicht bremsen brauchte. Um nochmals auf Prachatitz zurückzukommen, erfuhren wir den Tag nach unserer Abfahrt von dem Lagerplatz unter russischer Bewachung, dass noch in derselben Nacht, nachdem das Militär fort war, alle dort gebliebenen Flüchtlingswagen ausgeplündert wurden, die Frauen verschleppt, vergewaltigt und entlaufen waren. Einzelne von diesen waren in Prachatitz gleich ins Krankenhaus eingeliefert worden. Auch hatte man uns in der Zeit, trotzdem Tante und Onkel zurückgeblieben waren, sämtliches Bargeld gestohlen. Nur Muttel waren durch Zufall 1000 Mark geblieben. Dies erschütterte uns doch weniger. Ja, so kam eins zum anderen. Wir entschlossen uns, die Fahrt zurück nach Schlesien unter amerikanischer Begleitung zu wagen und schlössen uns also an unseren Treck an. Ich kann nichts über den ersten Tag der Rückfahrt sagen, trotzdem ja mit diesem Tag die schrecklichste Zeit der Flucht erst anfing. So froh war ich oft, Vatel so ruhig zu wissen, denn lebend wäre er doch nicht durchgekommen. So lange wir die Begleitung der Amerikaner hatten, war es eine schöne Fahrt, doch die währte nur drei Tage. Tagsüber zogen wir, kein Russe war zu sehen. Kamen Berge, so spannten sie ihre kleinen Wagen vor und zogen unseren Wagen trotz der Pferde herauf. Nachts wurde anständig gelagert. Die Lager wurden bewacht. Ich habe da unsere Mädels bestaunt. Eine jede fand noch die Zeit, für Schokolade oder sonst etwas mit einem Ami anzubandeln. Mir stand freilich nicht der Sinn danach. Unsere armen deutschen Landser, die notgedrungen die Kutscher abgeben mussten, an die dachte wohl keine. Auch wir hatten unter unseren einen netten Jungen. 19. Mai: So waren die drei ruhigen Tage bald vorbei. Wurden wir von Tschechen beschossen, antworteten die Amerikaner und räumten nicht schlecht auf. Man hinterließ den denkbar besten Eindruck. Als dann plötzlich die Begleitmannschaft durch eine russische ersetzt wurde, wurde alles durch die uns aufgetischten Lügen verdrängt. Ich sehe es noch heute, wir mussten vor einem Gasthaus halten. Unser Treck wird aus 150 Wagen bestanden haben, wir sahen den roten und weißen Stern, und wir wußten Bescheid. Drei berittene Russen bekamen wir als Begleitung. Dies war am Nachmittag. Nun weiß ich noch jeden Tag, jede Stunde, die nun kam. Diese drei Russen waren die besorgtesten selbst. Wo sie waren, da war Ruhe, wo sie nicht waren, da war Plünderei, und meist suchten sie sich Plagen aus, um die anderen bei der Arbeit nicht zu stören. Schon nach drei Stunden wurden sämtliche Räder abgenommen, es waren dies genau wie die Uhren Spezialartikel, die sie suchten. Auch ich hatte mit meiner Person eine Änderung vorgenommen. Als Bekleidung dienten mir ein paar Hosen, ein langer Lodenmantel und von Vatel ein Hut. Mein Haar, das durch das ständige im Freien sein verdammt hell geworden war, verdeckte ich mit einem schwarzen Tuch, was noch bis fast an die Knie baumelte. Meine guten Sachen waren aus Koffern in alte schmutzige Säcke gewandert. Das waren Handgriffe von wenigen Minuten. Die Koffer blieben hier, und das war gut so, denn kaum eine Minute war nun unser Wagen ohne einen Russen. Da er unglücklicherweise der Größte war, meinten sie, dort das meiste holen zu können. Ich hatte nun ständig einmal zu fahren, dann zu bremsen, doch mich dann wieder hinter anderen Wagen aus dem Staube zu machen. Das war der erste Nachmittag. Er verlief, trotz all dem kleinen Geplänkel, was wir von früher doch bissel gewohnt waren, ruhig. Am Abend sollten wir lagern, davor graute mir. Natürlich wurde ständig geschossen. Es war dem Russen eigen, wenn etwas war, gleich schoss er, und wenn nur in die Luft. Ständig wurden die Wälder auch noch nach Waffen-SS durchkämmt, was für uns oft peinlich werden konnte, denn oft mal hockten sie in oder unter dem Wagen, ohne dass wir wussten, wie sie hingekommen waren. Der Lagerplatz war eine Wiese, etwas abseits der Straße. An der einen Seite war Wald, an der anderen ein Teich, dann Feld. Auf der Einfahrt zum Lagerplatz stand ein russischer Kommissar. Er sollte angeblich die Bewachung der Wagen übernehmen. Es war sonst kein Russe weit und breit zu sehen, und doch traute ich dem Mann nicht. Er besah sich die Wagen zu genau und noch genauer die Leute, welche um sie rum gingen. So stieg ich ungesehen bei uns ein und ließ mich bei der Einfahrt trotz Herzklopfens nicht sehen. Hatte ich doch Angst, der Kerl käme in den Wagen. Meine Vorsicht war mehr wie angebracht. Bei Einbruch der Dunkelheit kroch ich aus dem Wagen und löste hinten etwas die Plane, um aus dem Wagen springen zu können. Auf das Feld schlafen zu gehen war nicht möglich, man bewachte uns bereits. Ein ganzer Lastwagen mit Russen war angekommen, zu was ahnte ich. Der angebliche Kommissar, er war aber auch wirklich einer, hatte nur die Frauen einer kurzen Prüfung unterzogen und das dann weitergemeldet. Er hatte sich jeden Wagen genau gemerkt, der junge Frauen mit sich führte. Das Luder muss sogar auch mich gesehen haben, und wenn nur beim in den Wagen klettern. Wie gesagt, ich löste die Plane, machte, für den Fall, dass ich oben nicht schnell genug raus konnte, noch das kleine Türchen hinter mir leicht zu, um es von innen aufstoßen zu können. Dann warf ich sämtliche Sachen auf mich und machte mir unter allem, durch Kissen und Koffer gestützt, meinen Lagerplatz gründlich zurecht. Es war bestimmt ein emsiges Wirken, denn ich war noch nicht fertig, hörte ich schon die ersten Schreie. Ich verschwand. Beschreiben, nein, beschreiben kann das keiner, wie mir zumute war. Alles flog an mir. Um unseren Wagen laufen, schreien, schießen. Ich lag da, über mir die Muttel, dann Hertel, dann Onkel und dann die beiden Soldaten. Besser gesichert konnte ich nicht sein, und doch wehrlos, wenn so ein Kerl mit der Pistole erscheint und den Wagen durchsuchen will. Und der kam, jedes Wort verstand ich. Kein anderer kam, nur der Kommissar. Gegenüber von unserem Wagen stand ein Planwagen. In diesem saß dieses Untier. Ein zwölfjjähriges Mädel war darin. Ob er das Kind mißbraucht hat oder es behütete wegen der anderen, weiß ich nicht. Jedenfalls war er zuletzt blau. Die ganze Nacht lag ich steif wie ein Brett, konnte mich nicht rühren, hörte das Getümmel um uns. Jede Stunde kam der Kerl, jedes Mal dringender, zuletzt stieg er in den Wagen. Ich hörte es, mir stockte der Atem, ich fühlte an die Tür. Hoch konnte ich nicht, auf mir lag Tante Hertel. Sie weinte, schrie und bettelte in polnischer Sprache, dass doch nur alte (starre) in dem Wagen wären und er sie doch schlafen lassen sollte. Er ging nicht aus dem Wagen. Zuletzt verlangte er Schnaps. Wir hatten ein, zwei Flaschen im Wagen, er stand mir zu Füßen, doch das hätte noch alles viel schlimmer gemacht. So bestritt meine Tante, welchen zu haben, blieb wie eine Glucke auf mir sitzen. Unter Schimpfen, am Morgen den Wagen durchsuchen zu lassen und mit den Worten, wenn er was fände, "dann ihr alle kaputt", verließ er das letzte Mal den Wagen. Es kam auch kein anderer rein. Wie eine Hochburg lagen wir nun ruhig inmitten des Geschreis. Nur hin und wieder die Worte, das war die Stimme derjenigen oder desjenigen "Der bekommt Schläge". Etwas anderes war nicht zu hören. Das war die erste Nacht. Eine Nacht von vielen, und doch haftet sie am schlimmsten im Gedächtnis, weil die Schrecken in dieser Art zu neu waren. Beim Dämmern wagte sich keiner anzusehen. Alles schwieg, das Grauen saß allen in den Gliedern. Es waren nicht Menschen, nein, Tiere. Bestien gleich fielen die Kerle über die Frauen her. Einzelne sprachen darüber, viele schämten sich. Zwei Frauen, nein Mädel, kamen in dieser Nacht ums Leben. Ein Mädchen, kaputt gemacht, wurde in den Teich geworfen, die zweite sahen wir am nächsten Tag mit Schulterschuß in einem russischen Personenwagen. Sie hatte sich wohl gewehrt. Vieles andere, was ich nicht berichten möchte, ereignete sich noch an diesem ersten Abend. Beim Morgendämmern landeten alle ein, zwei Likörflaschen im Teich, aber nicht ohne vorher zerschlagen zu werden. Onkel schaffte sie unter Heu versteckt nach dort. Die Leute wunderten sich ob des Geruches. 20. Mai: Am Morgen ging es weiter. Auch dieser Tag brachte außer dem alltäglichen Plündern sein Besonderes. Man spannte uns von meinem Wagen das beste Pferd aus. Ich habe geweint, durfte ich doch nur von Ferne zusehen. Unser Gespann, es war das Schönste, wurde von dem sehr unruhigem Hengst und einem Halbblut-Rotschimmel gezogen. Beide Pferde waren noch jung und hatten den Ehrgeiz, den Wagen so lange es ging überall allein durchzuziehen. Ich hing an den Tieren. Selbst die Pferde wurden unruhig, wenn die Russen an unseren Wagen kamen. Dann flogen die Flanken und der Hengst scharrte unruhig. Oft kniete ich und rupfte Gras oder gab ihnen eine Kleinigkeit extra. Hans und Hannchen; Hannchen war Pirmins Liebling, bei Hans hieß es diplomatisch zu Werke zu gehen. Ich sah es schon von weitem kommen. Die Pferde waren anderen schon ausgespannt worden. Nun kamen wir näher. Tatsächlich hieß es "Halt", Hannchen musste ausgeschirrt werden. Welch ein Hohn, man gab uns ein kleines Panjepferdchen für sie neben Hans. Dieser erkannte dies nicht an, und so mussten wir eine Stute, die träge war, aber die er kannte, neben ihn legen. Der Herr war wählerisch. Hannchen jedoch war nicht willig, so einfach mitzugehen. Man hatte sie abgeschirrt und lose an die Halfter genommen. Nach paar Schritt bockte sie, wendete den Kopf, sah Hans an, riß sich los und fort ging’s querfeldein. Unter Frauen konnte ich mir doch die Schadenfreude nicht verbeißen. Hoffte noch, dass sie uns nachkäme, doch sie kam nicht. Jedenfalls, der Russe hat sie nicht mehr bekommen. Wir zogen weiter, die Pferde waren ein Stück von uns, und wieder war etwas hinweg. Minuten später fanden wir einen schwer verwundeten Soldaten. Der bettelte, erschossen zu werden. Er hielt uns seine Pistole hin, um dass es einer täte. Ich sah dies alles im vorbeigehen, ein Anblick, er begleitete mich noch Stunden. Es ist gut, daß Frauen, Mütter und Kinder nicht wissen, wie die Ihren gestorben sind. Sie werden immer das Beste annehmen, wenn ihnen dies erspart blieb. So verging der zweite Tag. Gegen Abend dieses Tages wurden wir auf einen Waldplatz diktiert. Er war sandig. Kaum aber standen wir eine Viertelstunde, als es hieß "weiter", und so fuhren wir noch bis Einbruch der Dunkelheit. Wir mussten dann auf einem schmalen Feldweg über einen Holzsteg, der in mir die schlimmsten Befürchtungen wegen des Einbrechens hervorrief, etwa 200 m vor einer Wiese. Dort untersuchten zwei Russen unseren Wagen eingehend - und es war auch nicht vergebens. Vatels Lederzeug und Schmucksachen ließen sie mitgehen. Alles wurde von unterst zu oberst gewühlt. Mich hatte die Neugierde in die Nähe unseres Wagens getrieben, und ich stand an der Gabel vorn. Muttel war im Wagen und schaute sich den Zinnober stillschweigend an. Die Luder konnten sehr wohl gut von schlecht unterscheiden, die unechte von der echten Kette. So steckten sie sich Ringe auf die Finger und hielten sie Muttel unter die Nase. Das schadenfrohe Grinsen, das sie hatten, ärgerte mich mehr wie der Verlust der Sachen. Sie machten die Sache gründlich und erleichterten uns sämtlicher kleiner Weckeruhren. Es waren diesmal nicht viele Russen zu sehen. Auch die zwei verließen dann wieder unseren Wagen, nicht ohne mich erst mal am Arm zu schnappen und zu versichern, ich würde gut für Russki sein. Ich war verschwunden, weiß heut nicht mehr, wie ich loskam und wo ich übernachtet, sicherlich unter alten Frauen und Kindern. Jedenfalls sah Muttel mich bis zum nächsten Morgen nicht mehr. Wir schliefen an diesem Abend unter den Wagen. Es war keine schlimme Nacht wie die vorige. Vereinzelte Zwischenfälle, aber durch Mädels selbst hervorgerufen, die mit den Russen schäkerten und dann, als sie den Karren verfahren hatten, anfingen zu schreien und lamentieren. So zogen wir wohl acht Tage. Immer dasselbe: am Tage Plünderungen, abends rasten auf unmöglichen Lagerplätzen, die oft eine halbe Stunde von unserer Strecke lagen. Aber es ging vorwärts. Längst wussten wir, dass es nicht Richtung Heimat geht. Wir fuhren südlich auf Österreich zu und immer an der bayerischen Grenze entlang. Es hieß jedoch, man würde uns alsdann an der österreichischen Grenze und bei der Mährisch-Ostrauischen Senkung nach Schlesien geleiten. Aber nur die Hoffnung war der Vater des Gedankens. Nach etwa acht Tagen nun kamen wir in die Nähe von Budweis. Dort wurde uns zum ersten Mal von einer totalen Plünderung der Flüchtlingswagen erzählt und von der Verschickung der jüngeren Personen nach Russland zur Zwangsarbeit. Das löste natürlich eine Reaktion aus. Die Aufregung war eine ungeheuerliche, doch wir glaubten es dann doch wieder nicht, denn weshalb schleppte man uns erst so beschwerlich in der Gegend herum? Warum hat man uns nicht gleich von allem erleichtert? Aber wer findet sich in den Hirnen der Russen zurecht? Wir fuhren auch noch durch Budweis und immer an der österreichischen Grenze entlang. Ganze Scharen von Kriegsgefangenen trieb man an uns vorbei, auch alle in die Richtung, in die wir zogen. Ich muss sagen, wenn es auch noch oft zu Plünderungen kam, man hatte sich daran gewöhnt. In der Nacht hatten die Männer andere Maßregeln getroffen. Freilich ging es um ihren Schlaf, und noch viele Frauen wurden geschnappt. Aber sobald eine Frau angefallen wurde, liefen die Männer mit Knüppeln bewaffnet in diese Gegend und vertrieben die Übeltäter. Oft aber, wenn sie an dieser Stelle waren, war an zwei oder drei anderen die Hölle los. Die Nächte waren die reinsten Folterkammern, schlimmer kann es nicht kommen, als dauernd auf dem Pulverfass zu sitzen vor Angst, geschnappt zu werden. Nun waren langsam wirklich manche Mädel selbst daran Schuld. Sie konnten es nicht über sich bringen, sich unkenntlich zu machen oder fingen mit den Russen an. Es war immer dasselbe Theater und ging so wie überall: die Schuldigen kamen durch, weil sie sich zur Zeit aus dem Staube machten und die Ahnungslosen wurden geschnappt. Oft auch führten uns die begleitenden Russen einen falschen Weg. So einmal in einen Wald. An diese Tour kann ich mich gut erinnern. Vor einer Waldschneise hieß es "Halt". Es ging nicht weiter, die ersten Wagen hatten es gut, die konnten auf der Lichtung umdrehen. Aber wir, wie umdrehen? Vor allem standen wir erst mal mehrere Stunden und warteten auf die Dinge, die da kommen sollten. Pausen nutzten wir dazu, um zwischen Steinen Feuer zu machen und etwas Essbares zu kochen. Zum Leben hatten wir noch genügend, Essmittel nahmen die Kerle nicht. Oder aber es wurde für die Pferde Gras gerupft. Selbige mussten ja nun von uns verpflegt werden. Vorher hatten wir dies durch die deutsche Treckleitung bekommen. Seit der Kapitulation aber lag es an uns, sie gut oder schlecht durchzuhalten. Wie gesagt, in dem Wald setzten sich die Russen hin, hatten ihre Mädchen um sich und schossen in die Luft. Einer von ihnen, sie waren beritten, war zurückgetrabt, um sich zu erkundigen. Es hieß dann wenden, was dermaßen schwierig war und mir zusetzte. Ich denke an die vielen gefährlichen Augenblicke im Winter, des Abrutschens, des Kippens, dann des Abrollens usw., nicht gern zurück. Die Wege waren oft nur für die kleinen Bauernwagen geeignet, nicht aber für unseren großen Anhänger. Die kleinen Wagen kamen auch gut durch Schmutz durch, während unser zwillingsbereifter Anhänger sich in den Dreck einfraß und dann dermaßen schwer zum Ziehen für die Pferde war. Steckenbleiben durften wir längst nicht mehr. Ein Steckenbleiben hätte eine völlige Ausplünderung und, was noch das Gefährlichste gewesen wäre, unsere Verschleppung bedeutet. So hatten wir unseren großen Wagen mit einer großen Kette an den vor uns fahrenden unsrigen kleineren angelegt. Wenn nun schwierige Stellen kamen, zogen die ersten zwei Pferde unbewusst mit vereinten Kräften mit denen vor meinem Wagen zusammen den großen Kasten mit durch. Sie ließen uns auch nicht im Stich; die ängstlichen Zurufe ließen die Tiere das Äußerste leisten. Das waren die täglichen Schwierigkeiten allein des Fahrens der Wagen. Freilich war es manchmal ausgeschlossen, wenn ein Russe kam, zu verschwinden. So zum Beispiel, wenn ich auf der Schere stand und fuhr. Es ging nicht an, die Zügel einfach fallen zu lassen und das Weite zu suchen. Wäre ich doch einmal beim Fahren fast mit oder vielmehr bei einem Russen in der Hochzeitskutsche gelandet. Wir fuhren ziemlich ungestört. Ich fuhr, uns entgegen kam ein schlesischer Planwagen, es sind dies viereckige, geschlossene schwarze Wagen. Ein Russe lenkte ihn, eine Ahnung ließ mich unseren Soldaten rufen. Ich übergab ihm die Zügel, konnte aber nicht vermeiden, dass der Wagen in der Zeit rangekommen war und ich nicht mehr vorwärts, aber rückwärts laufen musste, was auf der Straßenseite passierte. Der Weg war zu schmal und der Graben zu breit mit Wasser. Gerade in Höhe mit unserem Wagen reißt so ein Kerl die Wagentür auf und fordert mich auf einzusteigen. Der Wagen aber fuhr, der Kerl versuchte mich am Arm zu bekommen, ich war jedoch die Schnellere und war nun doch an der anderen Seite der Straße. Halb im Wasser, halb am Grabenrand arbeitete ich mich nach vorne. Es waren dies wohl Minuten der Gefahr, aber sie kommen im Eifer des Gefechts gar nicht so zu Bewußtsein. Immer kam ich gut durch, es war eben Glück. Das wäre genug über die täglichen Fahrten mit den Wagen. Wir waren wohl 14 Tage unterwegs, die Gegenden waren sandig und einsam, es ging auf das kleine Städtchen Neuhaus zu. Wir fuhren auf einer Anhöhe und konnten die Gegend weit überblicken Von allen Seiten strömten auf den Straßen Menschen in der gleichen Richtung, in die wir fuhren. Ich wunderte mich wohl und war der Meinung, es wären genau wie wir Flüchtlinge, doch alle waren es deutsche Kriegsgefangene, welche die Russen in ein Sammellager bei Sichelbach führten. Denn auf das Dorf Sichelbach steuerten wir zu. Es war ein kleines, unsauberes Dorf, aber nicht mehr so mit fanatischenTschechen bewohnt, denn wir waren hart an der österreichischen Grenze. Es waren zum Teil bereits wieder Deutsche unter den Ansässigen. Diese waren es auch, welche uns darauf aufmerksam machten, dass wir nach viertelstündiger Fahrt auf einen Waldplatz kämen und dort total ausgeplündert werden sollten, vielmehr uns dort alles abgenommen werden würde. Mein Gott, wir sind erschrocken, doch waren wir schon so oft mit ähnlichen Dingen erschrocken worden. Es war schon Abend, und wir mussten tatsächlich in einen kleinen Wiesenweg einbiegen, der auf einen Wald zuging. Unter einem Baum beerdigten gerade andere Flüchtlinge einen Angehörigen von sich. Es war schon eine ganze Reihe Gräber dort. Sie bestätigten uns das, was uns die Dorfbewohner gesagt hatten. Sie waren tagsvorher an der Reihe gewesen. Wir hatten die kurze Zeit bis zur Einfahrt auf den Platz noch allerhand zu tun. Erst einmal zog ich mir dermaßen Wäsche und Kleider an, es waren vier Kleider, Kostüm und zwei Mäntel. Ich sah wie eine Tonne aus. Nun war es nicht allzu warm, so ließ sich dies noch ertragen. Lebensmittel, die noch zuviel im Wagen waren, wurden zerschnitten und an Soldaten verteilt, die halbverhungert am Waldrand lagen. Innerhalb des Waldes war das Lager der Gefangenen. Speck und alles andere ging den gleichen Weg, und bald war alles so untergebracht, daß die Tschechen an besseren Lebensmitteln wie Fett, Fleisch und Wurst nichts mehr von uns holen konnten. Was blieb, das waren Mehl und Kleinigkeiten. Es war bereits dunkel geworden, die Wiese war sumpfig, in kleinen Gräben lief das Wasser. Wir waren eigentlich froh, dort nicht durchzumüssen. Auf der Einfahrt zur Wiese blieb unser Wagen stecken, und wir zogen auch nicht mehr weiter, war er doch der Letzte. Abladen durften wir noch nicht. Ja, unser Zeug mussten wir noch selbst abladen. Es war so ungefähr 9 oder 10 Uhr abends. Vereinzelt zogen Russen herum, waren aber nicht mal zu plünderungslustig. Unsere Leute hatten die Betten, die wir ja Gebettweise mithatten, alle aus dem Wagen genommen und drei- oder vierfach auf den Boden gelegt, um darauf zu schlafen, damit die Feuchtigkeit nicht durchkommen konnte. Es war unheimlich anzusehen, dieses Hasten und Treiben. Einer wollte immer alles besser wissen wie der andere. Ich hatte mein Lager, weiß ich wie vielfach, zwischen alten Frauen zurechtgemacht und war gerade dabei, wieder einiges aus dem Wagen herauszuholen, als mich ein Russe erwischte. Der Erste, der mich wirklich fest hatte. Er war verwundert und meinte dauernd, ich sei eine Polin und müsste mit ihm kommen. Längst hatte ich gelernt, mich zu beherrschen und alle Angst zu verstecken. Denn merkte der Russe, dass man Angst hatte, dann war man verloren. So antwortete ich ständig auf seine Beteuerungen, ich sei eine Deutsche und er müsse mich loslassen. Als dieses nichts nützte, befreite ich mich gewaltsam. Wie das ging, weiß ich nicht mehr. Ich schmiss alles hin, es waren gute Sachen, rief einem Mädel zu "aufheben" und lief um den Wagen. Der Kerl ließ aber nicht locker, er jagte mich, doch die Dunkelheit half mir, und ich konnte in den umstehenden Leuten verschwinden. Ich hatte Lehrgeld gezahlt. An diesem Abend verkroch ich mich in meine Betten, deckte mich bis über den Kopf zu. So hockten wir alle. Es fing dann auch noch an zu regnen, bis früh 4 Uhr. So bald es anfing dämmrig zu werden, wurde wieder alles lebendig. An unserem Wagen wurde die Klappe aufgemacht, und nun wurde alles abgeladen, was kam, wie es kam, immer in das Wasser und den Schmutz hinein. Meine Säcke mit den Sachen hatte ich mir auf mein Lager geholt, hockte da wie ein Häufchen Unglück, linste immer nach den Russen. Die waren jetzt mehrere und fingen an auszusortieren. Nun erst wurde mal geteilt, was ich noch versuchen wollte mitzunehmen. Es entstanden zwei Haufen. Den einen stellte ich gleich den Mädeln zur Verfügung, sie konnten sich daraus suchen, was sie wollten. Den anderen, der noch zu groß wurde, packte ich nach einem nochmaligen Verkleinern in einen schmutzigen Sack. Genau das machte meine Mutter. Die Wäschekörbe und verschiedenes anderes fanden wir, als wir zu ihnen zurückkehrten, um noch wenigstens zwei Bettbezüge mitzunehmen, bereits ausgeleert und von unseren Dorfleuten geplündert. Selbige meinten nun freilich auch, ihr Zeugs sei nicht so gut wie das unsrige. Ich hatte wenig Interesse, überhaupt etwas mitzunehmen. Muttel munterte mich immer auf. So trat ich auf unseren Sparbüchern rum, ohne sie mitzunehmen. Mein Onkel nahm sie auf und rettete mir damit noch 1.500 Reichsmark auf dem Postsparbuch. Wehmütig nahm jeder Abschied von seinen Sachen. Abschied, denn jeder hatte wirklich nur das Beste mitgenommen, und das, was da herumlag, ist kaum zu beschreiben. Unser schöner Radioapparat, er lag im Wasser, extra im Wasser. Die Schreibmaschine, die Rechenmaschine, auf der ein Russe zu spielen versuchte, indem er auf die Tasten drückte und den Hebel rumschlug und den Spaß dann mit den Worten aufgab "nix Musik" . Einen Sack Mehl hatten wir unter Stroh versteckt. Er sollte für unsere Gefangenen sein, hoffentlich haben sie ihn gefunden. So hatte Muttel sich einen kleinen Sack mit Sachen und einen Koffer zurechtgemacht. Zwar einen ganz schäbigen Koffer, denn wir hofften, wegen seiner Schäbigkeit durchzukommen. Ich hatte einen schweren Sack und meine Aktentasche, die vorn unter dem schwarzen, langen Tuch baumelte, damit sie nicht gesehen wurde. Meine Tante hatte, genau wie Muttel und mein Onkel, wegen ihres Alters weniger zu schleppen. Die größte Schlauheit begingen wir damit, die besten Sachen wie das Tafelsilber, meine besten Schuhe, Muttels Handtasche mit Geld und Papieren einem Soldaten zu geben, der sie durchtragen wollte. Der verschwand damit. Hatte dem Kerl nie recht getraut. In der Zwischenzeit war es natürlich taghell geworden. Die Russen kamen, um die Wagen wegfahren zu lassen. Es handelte sich nun nur noch um die entleerten Wagen. Nun war nur noch mein Onkel, der ein Gespann nehmen konnte, die Soldaten wollten nicht mit. Großschnäuzig nahm der eine Russe die Zügel des Gespannes vor dem großen Wagen, welches aus dem Hengst und einer Stute bestand. Ein Genuss für uns, als er von dem Hengst niedergeschlagen wurde und nicht wieder aufstand. Nun mußte Onkel, nachdem die anderen Wagen von ihm abgefahren worden waren, auch dieses Gespann noch abfahren, bekam dabei die Stiefel ausgezogen und kam in kleinen Knobelbechern an. Natürlich nicht wenig wütend, denn die Dinger drückten ihn auch noch. In der Zwischenzeit hatte sich ein Russe mit der Tochter des Gastwirtes beschäftigt, welche neben uns abgeladen hatten. Selbige hatte ein Bild ihres Bruders, welcher Soldat war und als solcher darauf fotografiert war, in die Schlüpfer gesteckt. Wir alle lauschten dem Wortwechsel, er wollte das Bild haben und sie genierte sich, dieses aus den Hosen hervorzuholen. Bei dem Ernst der Lage war es doch recht lächerlich, als er ihr den Rock hob und die Hose runterzog, das Bild hervorholte und sich dann abwandte. Nicht zu verwundern, das Mädel war direkt häßlich schön. Ich hatte mir ein prima Essen eingerührt. Es bestand aus Butter mit Schokoladenpulver. Es war auch das letzte Mal, denn bald war es mit der guten Esserei vorbei. Es hieß, nun den Lagerplatz verlassen. Wir packten uns das Zeug auf den Rücken und wanderten wieder dem Dorf Sichelbach zu. Na, das war ein Weg. Paar Kilometer, und schon glaubten wir, es nicht schaffen zu können, einer jammerte mehr als der andere. Ich mit meinen vielen Klamotten an, mir rann der Schweiß in Bächlein herunter. Aber wir kamen in das Dorf. Das eine stand fest, das, was wir uns ausgesucht hatten, war noch viel zu viel, um es bei Fußwanderungen ohne Gepäckwagen schaffen zu können. Wir kamen nun in Sichelbach in einer Scheune unter, alle zusammen. Nun, diese Lager waren wir schon gewöhnt. Was wir nicht gewöhnt waren, war die nun dazukommende Sorge ums Essen. Freilich hatten wir mitgenommen, doch so minimal, weil ja die Sachen schon genügend Gewicht ausmachten. Zwei oder drei Tage lagen wir in diesem Dorf. Die Leute hielten zusammen, keiner machte sich extra auf den Weg. Die Bauern, es ist erklärlich, wollten uns fort haben. Auch hieß es, wir sollten über die Grenze nach Österreich, müssten dazu aber noch einen Pass haben. Kurz und gut, nach den bewussten Tagen bekamen wir einen Zettel ausgehändigt. Er war in tschechischer Sprache, und ich weiß heute noch nicht, was drauf stand. Wir sollten jedenfalls mit diesem die Grenze nach Österreich passieren können. Die Bauern stellten uns dann auch bezahlte Wagen, Geld hatte ja noch jeder, und so zogen wir los. Längst hatte ich auch nach Durchsicht in aller Ruhe der Papiere festgestellt, dass ich alles grundverkehrt mitgenommen hatte und nichts in der Mappe, die uns Vatel beschrieben hatte, drin war, was wir vermuteten. Er sprach wahrscheinlich schon nicht mehr bei rechtem Bewusstsein. Wir nahmen nun wieder Richtung auf den Lagerplatz und überquerten diesen auch. Es war nichts mehr darauf. Was darauf war, waren Federn und nochmals Federn, die Russen hatten die Betten aufgeschnitten. Wie Schnee lag es über die Wiese verstreut. So mußte ich meine letzte Hoffnung, die Papiere doch noch zu finden, aufgeben. Bis in das nächste Dorf brachten uns die Wagen. Dann wurde abgeladen, man hatte das Geld für die Fuhren und war uns aus dem Dorf los, das war die Hauptsache. Nun lagen wir am Straßenrand, ich weiß nicht, wie viele Menschen. Es hieß, wir sollten mit dem Zug über die Grenze, dann wieder, Deutsche dürften keinen Zug benutzen. Deutsche Gefangene arbeiteten dort schon, wahrscheinlich vom nahen Lager bei den Bauern eingesetzt. Sie halfen uns tüchtig, das Gepäck weiterzuschaffen. Ein russischer Kommissar, klein, krummbeinig, der einzige anständige Russe, den wir kennen lernten, hielt einfach herankommende Bauernwagen, die wahrscheinlich von den Russen dazu bestimmt waren, die um alles erleichterten Flüchtlinge über die Grenze zu schaffen, an. Wir durften mit Gepäck aufsteigen, und ab ging die Fahrt über die Grenze. Es war eine lustige Fahrt. Wir waren noch bei allem froh, nun wieder unter Deutsche zu kommen. Dass wir freilich von den Österreichern nicht als ihresgleichen angesehen werden würden, konnten wir ja da noch nicht wissen, sollten es aber bald zu spüren bekommen. Mürrisch waren die Kutscher und fuhren uns nicht einen Meter weiter. Noch oft wurden wir von den Russen angehalten, doch ohne Hindernis- se kamen wir an. 3 km vor einer kleinen Stadt hieß es, alles abladen, nun macht was ihr wollt. Wieder hieß es, selbst ist der Mann. Mit Schleppen und Würgen erreichten wir unser neues Quartier. An den Straßenrändern lag dermaßen Zeug umher, noch mancher hatte bestimmt seine Freude daran gehabt, als er es fand. An dem Quartier konnte man sehen, dass schon viele vorher selbiges als Durchgangsquartier benutzt hatten. Es war ja jetzt schon warm draußen. Ich blieb auf einer Decke im Freien liegen, wenigstens am Tag. In der Nacht war es seit dem Verlust unseres Wagens auch nicht mehr so wie früher, es stand mir ja nur eine Decke und ein Kopfkissen zur Verfügung. Außerdem fingen die Leute an zu verlausen. Es war überhaupt eine Schweinewirtschaft in dem Gebäude, einer großen Nazischule, und zwei Nächte mussten wir aushalten. Endlich konnten wir mit Hilfe von Ochsenkarren weiterkommen. Nun hieß es aber laufen, nicht mehr fahren. Das Gepäck musste nur gefahren werden, so ging es von Dorf zu Dorf. Jedes Dorf stellte, sobald wir eintrudelten, seine Gespanne zur Verfügung, nur damit wir recht schnell wieder verschwanden. So luden wir am Tage oft drei- oder viermal um und hatten 50 km zu laufen. Man wird es mir vielleicht nicht glauben, doch es ist so. Es ging immer stur vorwärts. Längst frugen wir nicht mehr wohin. Eine russische Führung hatten wir, seit wir die Wagen nicht mehr hatten, nicht mehr. Seit dem Grenzübergang standen wir unter österreichischem Schutz. Der Russe konnte nun nichts mehr holen, und die Sorge um uns war ihm zu beschwerlich. Die Österreicher brachten uns gut vorwärts, nur ohne Ziel. Es ging auf Linz zu, man wollte uns dem Amerikaner übergeben. Wieder einmal dem Amerikaner, wie ein Märchen, denn bei diesem zu sein, erschien uns wie im Paradies. Nebenstraßen, die von Russen gemieden wurden, benutzten wir. Durch wunderschöne Gegenden, oft so hoch gelegen, daß nur noch Steine vorhanden waren, führte man uns. Es ging alles reibungslos, es schien auch, als wenn wir der alleinige Transport von Flüchtlingen weit und breit waren. Doch wussten wir von den Bauern, dass sie täglich Fuhren machten und den ganzen Tag unterwegs waren. Wie viele Tage wir fuhren, kann ich nicht sagen. Es ist mir nur im Gedächtnis geblieben, unser Endziel war Schwertberg. Dort sollten wir in einen Zug verladen und dem Amerikaner übergeben werden. Ernährungsmäßig standen wir miserabel da. Längst hatten verschiedene bereits die Ruhr, mußten wir doch vom Betteln leben, was bei uns Muttel und Tante besorgten. Ich ging nicht, war ja immer noch viel zu dick gegen die anderen. Ja, aber in Schwärzenberg waren wir noch nicht. 15 km davor lud man uns einfach den Kram vom Wagen und fuhr zurück. Wir waren nur wenige, die anderen fuhren weiter, es waren freundlichere Fahrer. So blieb nur unser Gepäck, welches mehreren Familien gehörte, zurück. Natürlich war selbiges von meinen Freundinnen auch dabei, denn wir blieben ja zusammen. Stundenlang lagen wir da in der Sonne und malten die furchtbarsten Sachen in den Gehirnen aus. Russen sah man genug. Die österreichischen Frauen liefen in Männerkleidern umher und arbeiteten auch so auf dem Feld. Gegen Abend suchten wir Quartier auf einem einsam gelegenen Bauernhof unweit der Straße. Man sagte uns aber bald, dass der Hof allnächtlich geplündert würde. Es war auch wieder eine scheußliche Nacht, die wir durchmachten; besonders scheußlich, weil wir Mädels uns ein Lager ausgesucht hatten, auf dem man sich nicht bewegen durfte. Ich schlief auf Besenruten. Wenn ich mich bewegte, drückten diese und meine Mutter rief: "Seid still, wenn ihr erwischt werdet, seid ihr selbst schuld". Wir drei lagen nämlich im ersten Stock eines kleinen Holzschuppens. Genau unter uns lagen die älteren Herrschaften. In unser Quartier konnte man mit einer Leiter gelangen, die aber von uns nach oben gezogen war. Nun war bei allem die Gefahr des Durchbrechens, waren doch die Bohlen des Bodens, auf dem wir lagen, oft so breit auseinander, daß man mit einem Fuß und Bein durchfallen konnte. Es war einfach eine scheußliche Nacht, es wurde reichlich geplündert und geschrieen, doch selbst die Leutchen unter uns blieben unbehelligt. Den ganzen nächsten Tag lagen wir noch dort, gegen Abend erst konnten wir ein Fuhrwerk auftreiben. Wir kamen in Schwertberg wieder mit unseren Leuten zusammen, die da übernachtet hatten und keine besseren Quartiere hatten als wir. Alles strömte nun zum Bahnhof, um den ersehnten Zug zu erwarten. Onkel jedoch sah sich bereits nach einem erneuten Nachtquartier um. Er fand es, sogar bei sehr netten Leuten. Den Luftschutzkeller stellten sie uns zur Verfügung. Es standen zwei Betten darin, sehr breit, und sie reichten gut aus. So kam Stroh rein, und es war ein Musterlager. Es war ein kleines Siedlungshaus, bewohnt von zwei alten Leutchen und einem Sohn, welcher etwas doof war. Dort warteten wir nun, immer ständig einer auf dem Bahnhof auf das Eintreffen des Zuges wartend. Tagelang ging das. Jetzt, zur Ruhe gekommen, bekam ich die Ruhr und eine schäbige Magengeschichte, musste mit Muttel zum Arzt und dann das Bett hüten. Es war schön, dauernd im Keller zu liegen. Die Russen ließen sich von meiner Tante oben Fische braten. Sie verstand polnisch und konnte gut mit ihnen fertig werden. Ich hatte nur immer die Angst, dass sie mich fanden. Außerdem war ich vor dem doofen Sohn nicht sicher, der Feuer gefangen hatte und dauernd um die Türe rumschlich. Es war eine äußerst ungemütliche Lage. Meine Tante bereitete uns dann nach langer Zeit das erste fetthaltige Essen aus den Resten, die die Russen nicht gegessen hatten, und ich bekam davon tüchtig mit. Auch die Leutchen waren gut, und ich bekam täglich ein Glas Milch. Wir fühlten uns sehr wohl. Doch endlich hieß es "fertigmachen", am nächsten Tage morgens sollte ein Güterzug mit uns nach Linz gehen. Das war eine Freude, schon paar Stunden vorher waren wir auf dem Bahnsteig. Alles hockte auf dem Gepäck, ich gerade unter dem Fenster des Bahnhofgebäudes, neben einem Mädel. Es war mir fremd. Zufällig sah ich nach oben. "Zwei Russen" war meine einzige Feststellung. Sie hatten es auf uns zwei abgesehen. Ich hatte so das Gefühl einer nahenden Gefahr und zog mein schwarzes Tuch fester und stand langsam, ohne Hast, auf. Die beiden waren verschwunden. Ich mischte mich ein Stück weiter unter alte Frauen und buntes Volk, behielt aber das Mädel, und das was folgen sollte, im Auge. Bald auch sah ich den einen Russen suchend umhergehen, er suchte mich. Schwach wurde ich aber doch in den Knien, als ich mir einen Jungen schnappte und mich je nach dem wendete, wie der Kerl kam, so dass ich nicht in sein Blickfeld geriet. Als er sich abwandte, verschwand ich hinter einen Baum. Er suchte dann auch da, wo ich gerade noch gesessen hatte. Es war immer eine gütige Fügung, die mich dahingehen hieß, wo es für mich günstiger war. Das Mädchen, neben welchem ich gesessen hatte, war wenige Minuten später in ein Auto geladen worden, der schreienden Mutter zuwider, und mit Gepäck von den beiden Russen davongefahren worden. Muttel weiß davon nichts. Es berührte mich wenig, dass es auch mir so gehen konnte, wenn nicht heut, so hätte es doch morgen oder übermorgen passieren können. Endlich kam der ersehnte Zug. Viel Gedränge, jeder wollte der erste sein. Jeder glaubte, sein Gepäck nicht mit zubekommen. So ging es weiter, einer neuen Hoffnung entgegen, die in 10 Minuten wieder enttäuscht wurde. Keine 10 Minuten saßen wir im Zug, als dieser angehalten wurde und wir ihn verlassen mussten. Schräg aus einem gegenüberliegenden Wald kamen Russen auf uns zugelaufen. Man hatte uns 5 km gefahren. Als wir nun die Russen sahen, welche inzwischen bereits auf den haltenden Zug aufsprangen, konnten wir nicht schnell genug herauskommen. Viele, die Koffer bei sich hatten, wurden um diese erleichtert. Auf unser schmutziges Gepäck achtete keiner. Nun konnten wir wieder einmal wie die Packesel weiterziehen. Die Knochen waren bereits mürbe und keine 10 m waren es, und wir mussten immer wieder Rast machen. Doch nur nicht nachbleiben, wegwerfen wollten wir aber auch nichts. Viele hatten dies schon getan. Mauthausen war unser Ziel, dort sollte der Bahnhof schon unter amerikanischem Schutz stehen, beziehungsweise die eine Seite sollte russisch, die andere amerikanisch sein. Wir hatten uns jedoch getäuscht. Wohl waren Amerikaner dort, aber auch Russen. Wir waren sozusagen auf neutralem Gebiet, und keiner hatte die Sorge um uns. Es wurde uns ein leer stehendes Gehöft zugewiesen, das neben dem einstigen KZ-Lager lag. Die ehemaligen Häftlinge machten, noch nicht lange in Freiheit gesetzt, die Gegend unsicher. Auf einem Heuboden suchte auch ich mit den Meinen Unterkunft. Dies war bereits Anfang oder Mitte Juni, es wird wohl Anfang Juni gewesen sein. Es war tagsüber schon heiß, längst hatte ich die Klamotten alle ausgezogen und hatte nur das an, was zu einem anständigen Anzug gehört. Tagsüber war es heiß, in der Nacht aber beträchtlich kalt. Der genannte Heuboden war eine Qual. Am Tage nicht zum Aufhalten, in der Nacht durch die vielen Menschen, die fast aufeinander lagen, das Ungeziefer unerträglich. Viele, die die Ruhr hatten, waren nicht in der Lage aufzustehen und machten sich voll. Der Gestank war mörderisch, und ich zog mitten in der Nacht aus. Wir hatten nichts an Essen bei uns, die Meinen konnten nichts beschaffen. Die Bauern hatten die Türen und Tore wegen der KZ-Häftlinge verrammelt, und kein Mensch konnte sich etwas erbetteln. Unser Nachtquartier - und nun auch unser Tagesquartier - hatten wir jetzt auf einen Getreidespeicher im gegenüberliegenden Gebäude des Hofes verlegt. Es war Zementboden und hart zum Liegen. Vom Heu mochte ich nichts, es brachte nur die Gefahr der Läuse mit. Tags und nachts lagen wir nun nur noch. Die Glieder waren wie lahm. Jeden Tag aßen wir paar Löffel Zucker, den Muttel noch hatte. Wir bewegten uns so wenig wie möglich, um den Körper zu schonen. Der kleinste Gang strengte auch schon so an, dass der Schweiß rann. Auf dem Bahnhof, das war unsere einzige Hoffnung, sollte in den nächsten Tagen mal Essen ausgegeben werden. Es kam auch, ein dermaßen Fraß, dass die Menschen kränker wurden als gesünder. Hinter den Gebäuden war eine Grube ausgehoben worden, mit Gebüsch umkleidet, eine Stange als Vorrichtung, darauf hockten die Leute zu fünft und erledigten ihr Geschäft. Da diese fünf Plätze aber noch nicht ausreichten, waren die Menschen gezwungen, auch den umliegenden Boden zu versauen. Man musste achtgeben, um noch so einen freien Platz zu erwischen, wo man hintreten konnte. Es war so ein Spießrutenlaufen. Die Ruhr hatte durch die verpestete Luft und das enge Zusammensein noch mehr um sich gegriffen. Es brach der Hungertyphus aus, kein Wunder, war es doch unmenschlich, was man sich mit uns erlaubte. Da durch diese Seuche jedoch die ganze Gegend gefährdet war, setzten sich nun die Amerikaner ein, das erste Mal. Sie brachten vom Roten Kreuz Pakete und verteilten sie unter die Leute. Drei Köpfe bekamen ein Paket. Doch dies war etwas für den hohlen Zahn. Muttel teilte es zwar gut ein, doch nicht lange, da war alles fort. Wir Mädels rührten uns nicht vom Boden runter. Es war uns ein Genuß auf dem Rücken zu liegen, nicht zu sprechen und die Decke zu betrachten. So stumpfsinnig waren wir geworden. Es war schon alles egal. Kam man vom Boden, bot sich ein Bild des Grauens. Alte Leute, denen der Kot an den Beinen runter lief, meist schon mit Blut durchmischt, Kinder, wegen der Wärme wenig bekleidet, ganz rot gepunktet vor Läusefraß. Es ist nicht zu beschreiben. Es konnte so nicht weitergehen. Der Amerikaner wollte uns nicht, kann ich auch verstehen, was sollten sie mit uns. So kam es eben, wie es auch kommen musste. Ein Russe kam mit einer Peitsche oder einem Gummiknüppel, weiß ich, was es war. Jedenfalls, wer nicht mitwollte, musste kommen. In einen Güterzug mit defekten Wagen, nicht einer war ganz, wurden wir verladen. Mit 60 Personen saßen wir mit unserem Gepäck im Wagen. Neben mir saßen eine alte Frau und ein alter Mann. Die Läuse liefen ihr hinten an den Kleidern runter und rauf und kletterten die Waggonwände hinauf. Ich bekam das Grauen, doch konnte ich mich nicht rühren, so eng gepfercht saßen wir aneinander. Der Transport setzte sich in die Richtung in Bewegung, aus der wir gekommen waren, also wieder zum Russen. Es war uns nun egal, hatte sich der Amerikaner doch auch nicht um uns gekümmert. Die Russen lockte das verwahrloste Häufchen Menschen nun weniger, und so hatten wir Mädels ziemlich Ruhe. Es ging über Schwertberg in Richtung Osten. Immer an der Donau entlang. Krems hatten wir bereits hinter uns. Stundenlang standen wir oft auf offener Strecke, es ging auf Wien zu. Dann wurden wir auf ein Nebengleis geschoben und mussten dort übernachten. Ich mit den beiden Mädels kroch nun aus dem Wagen, unterzog mich erst mal einer gründlichen Reinigung und ging in den Kasten vorerst nicht hinein. Ich hatte keine Laus abbekommen; so habe ich auch später nie eine gehabt, sie hielten sich wohl bei mir nicht. An dem Zug wurden kleine Feuer gemacht, und jeder kochte dort, was er noch hatte. Meist nur Wasser und was drin, um die Mägen zu füllen. Muss schon sagen, wenn wir, sei, es wo es war, immer weiterfuhren, sah der Platz auf dem wir gewesen waren, wüst aus. Die Feuerstellen, schlimmer konnten es Zigeuner nicht machen. Kranke Leute wurden ins Freie gebettet, damit sie gerade liegen konnten. Sie lagen die Nacht über unter freiem Himmel, genau wie wir. Die Leute waren meist so schwach, dass sie von Läusen aufgefressen wurden. So bot sich mal ein grauenhaftes Bild. Ein alter Mann, er war wohl am verhungern, lag auf dem Gras, keiner kümmerte sich um ihn. Jeder hatte genug mit sich zu tun. Die Läuse liefen ihm über das Gesicht, er war nicht mehr in der Lage sich zu bewegen. Diese Leute wurden in einen offenen Wagen gelegt. Es waren meist solche, die im Sterben waren. Sie konnten dort so langsam ihrem Ende entgegenhungern. Schaulustige sahen sich dies dann noch an. Viele lagen in diesem Waggon, auch Bekannte von uns. Wo die Toten blieben, weiß ich nicht, ich konnte mir das Elend nicht noch extra betrachten. Wenn es mir nicht direkt ins Auge stach, mied ich ähnliche Dinge. Die Nächte verbrachten wir Mädels in den Tagen des Transports bis Hadersdorf im Feld, es war unglücklicherweise Regenwetter geworden. Ich hatte mich mit einem der beiden Mädels enger befreundet, war sie doch in der gleichen Lage wie ich, hatte nur die Mutter bei sich. Sie musste sich auch gut und recht durchschlagen, hielt sich auch trotz allem sauber. Sie hieß Traudel, die andere Inge, hatte ihre Eltern bei sich, welche noch verhältnismäßig jung waren. Beide waren erst 18 Jahre alt. Mit Traudel suchte ich mir nun nachts immer im Feld einen Platz. Der Waggon war unmöglich, er hatte ein Loch, war nicht dicht, und der Regen tropfte durch die Decke. Die Menschen stanken, die Kinder, die sich in die Lage nicht finden konnten, weinten die ganze Nacht aus Hunger und wegen des unbequemen Lagers. Es waren wohl von diesen in unserem Wagen zehn oder mehr drin. Sie mussten vor allen Dingen auch wärmer liegen. So nahm ich mir mit Traudel, die auch noch läusefrei war, eine Decke und ein kleines Kissen, und wir übernachteten im Getreide in einer Mulde. Wir wärmten uns gegenseitig. Wenn einer behaupten will, daß wir nicht geschlafen haben, so täuscht er sich. Und wie haben wir geschlafen, totähnlich, bis uns gegen 4 Uhr früh wieder Schreie weckten. Es waren Russen in dem Transport. Sie jagten die Mädels, sie kamen in das Getreidefeld, in dem wir lagen. Nicht weit von uns bekamen sie eine. Der Morgenreif hatte auch uns ausgekühlt, und wir standen auf, um zu den Wagen zu gehen. Nach diesen Jagden mussten wir uns immer bei den alten Herrschaften blicken lassen, mussten sie doch wissen, daß wir noch heil waren. Muttel war ja immer furchtbar in Sorge, mehr wie ich. Das waren die Nächte des Transports bis Hadersdorf, wo man uns wieder auf ein Nebengleis stellte und stehenließ, wohl drei Wochen. Wir waren das Leben nun schon gewöhnt. Hier konnten die Leute von den Bauern wieder etwas bekommen, wenn auch nur Kartoffeln oder trocken Brot. Aber es war etwas, wenn nur wenig, aber etwas. Wir Mädels hatten nun ganz nette Tage. Vom Waggon, der noch immer mit den vielen Menschen belegt war, hatten sich alle die, die jünger waren, über tags und auch nachts im Freien ein Plätzchen gesucht. So war es auszuhalten. Wir drei Mädels streiften in den Weinbergen umher. Die Gegend war stark mit Russen besetzt. Hadersdorf war nur von Weinbauern bewohnt, die ganze Gegend waren Weinberge, und eine ganze Straße bestand nur aus Weinkellern, die unterirdisch in die Berge eingebaut waren. So viel Wein wie wir dort getrunken haben - es war nicht zum Guten. Doch die Weinkeller selbst waren von betrunkenen Russen erbrochen. Im Dorf selbst, über Tage rührte sich kein Mensch auf den Straßen, nur wir, die wir uns langsam an die Anwesenheit der Russen gewöhnt hatten. Wir Mädels liefen jetzt sogar unverkleidet umher. Ein paar Kilometer weiter war ein Russenlager mit 50.000 Russen. Nächtlich schwärmten diese über die Felder und suchten sich ihre Opfer aus. Die Russenplage war wieder groß geworden. Neuerdings wurde unser Transport auch wieder von zwei Russen bewacht. Etwa 1.500 Menschen werden wir gewesen sein. Die Wächter hatten die Aufgabe, abends achtzugeben, wo die Mädels hingingen und dies ihren Kameraden zu verraten. So schien es mir bald. Wir drei waren ihnen auf die Schliche gekommen. Am Tage wagten sie es doch nicht mehr oder nur vereinzelt, über die Mädels herzufallen. Der Russe war in dieser Beziehung überhaupt feige. Um unseren Müttern die Sorge um das tägliche Brot abzunehmen, arbeiteten wir bei den Bauern auf den Feld, deren Frauen nicht hingehen wollten. Wir bekamen dafür jeden Mittag von einem Mann ein anständiges Mittagessen gebracht. Das Feld lag nahe am Zuge und war so für uns keine große Gefahr. Wir hatten uns wieder ganz prima erholt. Als wir mit der Arbeit fertig waren, es war ja nicht viel, weiter entfernt wollten wir nichts übernehmen, fingen wir an, durch die Berge zu streifen. Wir pflückten Stachelbeeren und Johannisbeeren, die zwischen den Weinstöcken oder mitten auf dem Feld wuchsen. Es war uns ein Heidenspaß, lang im Getreide zu liegen und die Österreicher um etwas zu erleichtern. Wir hatten uns an das Zigeunerleben gewöhnt. Frühmorgens ging es in den nahen Fluß, trotz der Russen. Es war immer ein richtiges Versteckspiel, das wohl gefährlich werden konnte, es aber Gott sei Dank nie geworden ist. Die unsrigen hatten nun immer eine Heidenangst. Tagsüber in die Berge, oft kamen wir mal angeheitert zurück, nachts suchten wir uns ein Lager, das, solange wir in Hadersdorf waren, aus Heureutern oder einem Werkzeugwaggon bestand. Die Reuter mussten wir bald lassen, da man wusste, dass wir sie als Übernachtungsquartier benutzten. So lagen wir eine Nacht drunter, bis früh, es war schon hell geworden. Wir konnten sonst nicht von unseren Plätzen zurückkehren, weil wir wussten, die Russen passten auf wo wir lagen. Wir waren aber übereingekommen, nicht mehr unter diesem Reuter zu schlafen, weil uns das Ungeziefer zu sehr geplagt hatte. Nicht etwa Läuse, nein, die aus dem Heu kommenden kleinen Spinnen und Käfer erlaubten sich dauernd, uns gerade ins Gesicht zu fallen oder am Körper rumzukrabbeln. Ja, wie gesagt, am Abend gedenken meine Tante und noch zwei ältere Frauen sich unter selbigen Reuter zu legen, welchen wir nachts zuvor benutzt hatten. Nicht umsonst waren wir bei Tag zurückgekommen. Sie wurden in der Nacht an den Beinen herausgezogen, weil sie nicht freiwillig kommen wollten, dann aber mit den Worten abgedankt "alles starre". Was haben wir am Morgen gelacht. Wir hatten unter einem anderen Reuter auf dem Acker geschlafen und hatten genau das an unserem Nachbarreuter miterlebt. Bloß, daß da weniger Alte drunterlagen, die sich bei dem Kommissar im Dorf melden und mitgehen sollten. Durch das Geschrei der Kinder ließen die Russen aber wieder von den Frauen ab. Nach diesen Zwischenfällen nahmen wir den Werkwaggon als Nachtquartier und gingen dort nicht mehr raus. Wir lagen fünf Frauen und zwei Männer in diesem Wagen, der vergittert und stark gesichert war. Hinein konnte keiner kommen. Man wusste aber auch, dass wir drin schliefen, denn eines Nachts waren die Russkis bemüht, uns in eine ausgebaute Grube zu schieben, welche zum Reparieren von Waggons diente. Wir meinten es jedenfalls, dass unser Wagen da hineingefallen wäre. Doch war er so stark angebremst, dass die Kerle ihn nicht von der Stelle bekamen. Wir alle saßen da. Die Männer hielten die Eisenhaken zu, damit sie durch das Klopfen nicht aufsprangen. Es waren viele Besoffene. Auch beim Transport hatte man bereits bemerkt, was bei uns vorging. Es wagte aber keiner etwas zu sagen. Die Wache wurde doch verständigt, und die Russen wurden mit Fluchen vertrieben. Wir schliefen aber trotzdem noch in dem Waggon weiter. Nach Tagen hieß es plötzlich: "Ihr kommt nach Russland". Ich war gerade alleine, von den Meinen war keiner da, ich musste bei dem Gepäck bleiben. Meine Angst wuchs, als auch noch dazukam, dass nach zwei Stunden die Lok kam, um uns abzuholen - und zwar eine russische. Die Meinen kamen und kamen nicht zurück. Keiner lud aus. Es war allen egal, was man mit uns machte. So kam die Lokomotive mit einem großen roten Stern vorn. Die Bahner kamen nochmals zu uns, wir sollten doch aussteigen. Es sei die Meldung, dass wir nach Russland kämen, eingetroffen. Die Lok lag bereits vor dem Zug. Keiner von meinen alten Herrschaften war zu sehen. Ich weinte, der Krampf schüttelte mich bereits wieder, es war fast schlimmer wie Vatels Tod. Die Nerven fingen doch an nachzulassen. Das Gepäck von uns war ausgeladen. Ich als alleinige stand auf dem Bahnsteig. Die Leute schauten stumpf auf mich, keine Miene regte sich, wusste ich doch was passierte. Sobald der Zug fort wäre, sähe ich trotzdem keinen Menschen von uns wieder. Bald wäre ich mit meinem ganzen Gepäck weggeräumt worden, als Liebchen eines Russen. Im letzten Augenblick sah ich Onkel und die zwei Frauen kommen, verpackte das Gepäck unter größerem Heulen, zwar mit Erleichterung, wieder im Waggon. Nun wurde mir aber doch schnell geholfen. Die drei sprangen sehr erschöpft auf, denn sie hatten gehört, dass der Zug abgehen sollte und waren auf ihrer Hamsterfahrt umgekehrt. Die Touren waren immer weiter geworden, die sie wegen des Essens nehmen mußten, denn die Bauern hatten selbst nichts mehr. Wir wurden dann tatsächlich bis Hörn abgerollt. Dort lagen wir vier Stunden. Bei keinem zeigte sich eine Wehmut, wir hatten uns damit abgefunden. Wir lagen auf der Wiese am Bahndamm und schliefen. Nach vier Stunden aber hieß es "einsteigen", und man fuhr uns wieder nach Hadersdorf zurück, und wir standen dort, wo wir vorher gestanden hatten. Das alte Leben begann von vorne. Eine neue Überraschung harrte uns jetzt freilich. Inge, eine von uns dreien, war als erste mit ihren Eltern zwei Tage nach unserem kleinen Ausflug nach Hörn in Richtung Schwertberg abgefahren und wollte dort mit ihnen versuchen, die russisch-amerikanische Demarkationslinie zu überschreiten. Wir konnten uns noch nicht entschließen. Ich war mit Traudel nun allein. Nicht lange dauerte dieses faule Leben. Es wurden Listen aufgestellt, es ahnte uns nichts Gutes, und auch wirklich wurden wir Jungen rausgesucht und auf einen Bauernwagen geladen. Das Gepäck mussten wir mitnehmen, und ab ging es. Ich musste an die ausländischen Arbeiter denken, die ähnlich bei uns zu Hause abgeholt wurden. Freilich glaubten wir nun auch wieder, nie mehr mit den Unsrigen zusammen zu kommen. Es gab eine erneute furchtbare Aufregung. Nun gut, aber ich saß wenigstens mit Traudel auf ein und demselben Wagen, und wir wollten versuchen, auch immer zusammen zu bleiben. Nach Grunddorf kamen wir, 5 km von Hadersdorf entfernt. Beim Bürgermeister wurden wir abgeladen - Zwangsarbeit! Die Bauern kamen und suchten sich die aus, welche sie für die Kräftigsten hielten. Freilich verfielen alle auf Traudel und mich, waren wir doch nicht mehr dick, so aber groß und stark. Ich kam nicht mit Traudel zusammen, sondern mit noch vier anderen zu ein und demselben Bauern. So zogen wir mit unserem Gepäck ab. Als Nachtquartier wurde uns ein ehemaliges französisches Kriegsgefangenenlager zugewiesen. Das Stroh lag in dem Raum noch herum, es sah aus, für Vieh zu schlecht, für uns aber scheint’s zu gut. Ich, den Raum sehen, zwei Flöhe waren mir beim Eintritt gleich auf die Beine gesprungen, jedenfalls verlor ich meine ganze Schüchternheit, weigerte mich den Raum überhaupt zu betreten, geschweige noch darin zu schlafen. Ich lief jammernd und heulend zum Bürgermeister zurück. Dieser hatte nun wohl auch meine Lage eingesehen und ging mit mir zu Bekannten. Siebert hießen die Leute, und es war ein großes Gut. Er war verschwägert mit ihnen. Man ließ mich in der Küche stehen, um mich lag das schmutzige Gepäck. Ich selbst war ja nun sauberer, doch verwildert. Es war eine lange Verhandlung, man wollte mich einfach nicht. Ich stand da, mir liefen ohne zu wollen die Tränen runter, die Lage war doch zu jämmerlich. Endlich ließ man sich erweichen. Ich bekam keine Hand, Gott bewahre, sondern bekam angedeutet, ich solle mich an den Tisch setzen. Dort bekam ich einen Teller Suppe und wurde anschließend in eine Stube geführt, die mit einem Bett, Schrank, Tisch und Stuhl möbliert war. So ging ich schlafen. Früh um halb fünf begann mein Dienst mit Rüben mahlen, Rindviecher futtern und dann ausmisten. Meine Arbeit verrichtete ich in den ersten Tagen nur unter Tränen, dann aber stur. Früh beim Milch wegbringen und abends traf ich immer Traudel. Das war der einzige Trost. Es stand fest, lange blieb ich nicht. Wir mussten weg, andernfalls saßen wir monatelang zwangsverpflichtet fest und ich kam nie nach Deutschland zurück. Den Österreichern waren die anderen ausländischen Arbeiter entzogen worden, und so sollten wir diese nun ersetzen. Auch half ich der Frau im Haus. Nachmittags ging’s aufs Feld. Die Frau arbeitete immer mit mir mit. Ich musste mich oft zusammennehmen, um ihr nicht nachzubleiben. War ich doch die landwirtschaftliche Arbeit nicht gewöhnt. Es ging bis spät in die Nacht hinein. Einen Sonntag verbrachte ich bei Sieferts, an dem ich früh meine Wäsche wusch und mich nach- mittags mit Muttel traf. Wir verabredeten, in der kommenden Woche aufzubrechen. Ungefähr Mitte der Woche jedoch kam plötzlich meine Mutter mit der Nachricht, der Transportzug sei geräumt worden, alles liege auf dem Bahnsteig, sie müssten fort. Ich lief zu Traudel, sagte ihr Bescheid, acht Tage war ich nun bei Sieferts. Wir sortierten die Sachen, Frau Siefert weinte, weil sie nun wieder niemanden hatte. Sie sah aber ein, daß ich ja nicht als Kuhstallmagd bleiben konnte. Ich durfte bei ihr sogar noch Sachen lassen. Denn, nun auf uns alleine gestellt, nicht mehr im ganzen Transport, hieß es das Gepäck tragen. Wir nahmen aber trotzdem noch viel zu viel mit. Frau Siefert gab mir ein Brot und Speck auf den Weg, dann ging’s zu Traudel und dann zu Fuß nach Hadersdorf zurück. Traudel, ihre Mutter, Muttel und ich kamen so in das Getümmel auf dem Bahnhof Hadersdorf an. Es war ein Bild des Elends, das Grauenerregendste wohl. Alles lag auf dem Bahnsteig, ob jung oder alt, ob krank oder gesund. Am meisten bedauerte ich eine Frau, die ein Kind erwartete und nicht ein noch aus wußte. Sie war wie von Sinnen. Tante und Onkel hatten, da zu der größten Not noch immer auch der Himmel das seine dazutat, unser Gepäck in der Waschküche untergestellt. Ich legte meine Sachen noch dazu, auch Traudel und deren Mutter, und verdrückte mich mit ihnen schnell wieder. Die Leute waren durch unser Dazukommen ungemütlich geworden. Wir waren schon froh, wenigstens die Sachen in einem trockenen Raum zu haben. Wir zwei wollten mal sehen, was sich unter den Leuten tat. Onkel sollte Fahrkarten erst mal bis Schwertberg besorgen. Es stand für uns fest, jetzt alleine unser Heil zu versuchen. Nach Schwertberg, von dort über die russische Demarkationslinie zu dem Amerikaner und dann über die Grenze nach Deutschland rein. Dies war unser Plan. Wie er am besten zu verwirklichen wäre, gingen wir herum, um von Einzelnen mehr zu erfahren. Eine Gruppe Menschen fesselte uns, und wir gingen hin, um zu hören, was los sei. Ein wahrscheinlich ehemaliger Soldat hielt große Reden. Er wollte die Führung übernehmen und eine Gruppe Frauen mit über die Grenze nehmen. Ich fand den Plan nicht übel und Traudel und ich frugen, ob auch wir uns seiner Gruppe anschließen dürften. Unsere Frage wurde bejaht, und wir waren froh, einen Halt zu haben. Nun kam die Sorge um die Schlafgelegenheit in der Nacht, es regnete. Im Freien ging’s nicht, der Werkwaggon war von reichlich anderen belegt. Wohin? Auch da half uns unser künftiger Führer. Wir schnappten Decke und Kissen und zogen ab. In der Werkstatt, hoch oben, zeigte er uns eine warme Schlafstelle. Traudel und ich machten es sich bequem, und wir waren der besten Laune. Es kamen noch zwei andere Mädels, genau zu uns, und dann kam er. Nun begriff ich, worum es ging, und ich wusste aber auch, dass unser ganzes Vorhaben allein ausgeführt werden würde. Es kam auch so. Die Belohnung sollte eine zu kostspielige sein. So gab es auch bei uns Schweinehunde. Onkel hatte die Fahrkarten bekommen. Traudel und ich hatten trotz allem eine ruhige Nacht. So waren wir frisch, als am anderen Morgen unsere Tour begann. Der Kerl sah mich nicht viel, geschweige, daß wir uns anschließen wollten. So zogen Onkel, Tante, Muttel, Traudels Mutter und wir zwei los. Natürlich waren wir wieder lächerlich in Staat geworfen. Wir fuhren die Strecke über Krems zurück. Die Fahrt war nicht ruhig, man kontrollierte dauernd. Alle, die nicht Österreicher waren, sollten den Zug verlassen. Es stiegen viele aus. Sie taten uns ob ihrer Dummheit leid, denn sie kamen morgens so zum Bauern in Zwangsarbeit. Ich log immer feste drauf los, und so konnten wir ein ziemliches Stück mit der Bahn fahren. Jeder Kilometer freute uns, ging es doch Deutschland näher. Etliche Kilometer vor Schwertberg jedoch hieß es: "Endstation, alles aussteigen". Der Zug war zum größten Teil mit Flüchtlingen besetzt. Wir gingen mit dem Strom mit. Mein Gepäck war trotz der zurückgelassenen Sachen noch schwer. 44 Pfund wog der Sack allein, den ich auf dem Rücken schleppte. Dann noch vorn die Aktentasche mit ihren 10 Pfund und Muttels Koffer, an welchem ich auch anfasste. Es ist klar, daß wir abgehangen wurden und zu ungefähr 10 Personen allein auf der Straße weiter zogen. Doch alles waren wir alte Bekannte. Wohl 10 km werden wir uns geschleppt haben, als es nicht mehr ging. Es konnte auch nicht mehr weit bis Schwertberg sein. Wir Frauen gingen etwas abseits von der Straße und setzten uns hin. Onkel lief allein zu unseren Bekannten nach Schwertberg. Wir mußten einen Wagen haben, und wenn nur einen Handwagen. Wir konnten nicht mehr. Es dauerte eine Weile, ich saß mit Traudel, kamen Russen, es konnte auch nicht anders sein. Wir Frauen allein, sechs Mann waren es. Sie setzten sich uns gegenüber. Traudel und ich hoben die Köpfe nicht, ich hatte mir ein Kind auf den Schoß gezogen. Doch plötzlich hockte einer vor mir, zog mein schwarzes Tuch vom Kopf und hob den Kopf hoch. Alles war still, mein Gesicht hätte ich sehen wollen. Ich sah hilfesuchend zu Traudel und begegnete einem Blick, der von unten nach oben auf dem Russen hing und so erschrocken war, dass ich mir ein Grinsen nicht verbeißen konnte. Nun fragte mich der Russe, ob es mein Kind, wie alt es sei und wie alt ich sei. Alles in Deutsch. Ich stand Antwort, indem ich das Mädel als das meinige bezeichnete. Es sei fünf Jahre und ich sei 26 Jahre. In dem Augenblick klagte die Kleine dazwischen und behauptete, sie sei nicht fünf Jahre. Mein Schreck war groß, der Russe - er war gewiss nicht übel - lachte nun auch zu meiner Erleichterung richtig frei. Er sagte nur, dass es unmöglich mein Mädel wäre, dann hätte ich das Alter gewusst und kehrte zu seinen Kameraden zurück. Er kam jedoch wieder und brachte lächelnd für mich und mein Kind ein halbes Brot. Sonst wurden wir nicht belästigt. Onkel kam dann, wir luden auf und schoben den Wagen nach Schwertberg. Auch die Russen hatten sich uns angeschlossen. Traudel und ich steckten diese Strecke in keiner glücklichen Haut. Sie waren nett und gut, aber wusste man, welche Teufelei sich dahinter verbarg. In Schwertberg nahmen wir wieder bei denselben Leuten Quartier. Wir bekamen diesmal ein Zimmer mit Doppelbett, richtige Federbetten drin, mir war das nicht mal angenehm. Traudel und ihre Mutter kamen diesmal in den Luftschutzkeller. Wir blieben einen Tag und zwei Nächte dort und haben uns alles in Ordnung gebracht. Dort zankte ich mich das erste Mal mit Muttel. Ich wollte meine Sachen noch mehr lichten, es war mir zu schwer. Muttel packte das Zeug kurzerhand in ihr Gepäck, was mich notgedrungen die Stücke wieder an mich nehmen ließ. Es stand uns nun das schwierigste Stück, der Übergang zum Ami, bevor. Es hielt mich dort auch nicht. In den Betten, in einem schlief ich mit Muttel, im anderen Tante und Onkel ging die Jagd los. Muttel bekam Läuse und Onkel und Tante hatten auch welche. Das Bewusstsein, Läuse zu bekommen, ließ mich weniger schlafen, als wenn Russen in der Gegend gewesen wären. So brachen wir am zweiten Tag, morgens drei Uhr, auf. 3 km waren es bis zur Grenze. Es war etwas neblig. Unser Wirt ging mit uns. Er hatte schon vielen rüber geholfen. Natürlich mussten wir uns erkenntlich zeigen. Sechs Personen waren wir. Schon nach wenigen hundert Metern konnte Muttel nicht mehr. Tante musste ihr helfen, ich konnte bei meinem Gepäck nicht. Der Weg war nass und schmutzig. Wir stiegen einen steilen Hang auf einen Berg, dann wieder runter. Längst liefen wir querfeldein, und immer noch wollte der Weg kein Ende nehmen. Kein Wort wurde gesprochen, der Schweiß rann. Keiner dachte ans Müdewerden. Wenn’s nicht mehr ging absetzen, weiter. So sahen wir die Wache. Sie hatten gerade einen erwischt, wir hörten das "steu". Dieser Posten musste umgangen werden. Unser Begleiter ging immer vor und holte uns dann nach. Endlich kamen wir unbemerkt an die Bahn, diese mussten wir noch überqueren, drüben war der Amerikaner. Dies jedoch war fast was Unmögliches. Erst einmal galt es, den Abhang runterzurutschen und dann an der anderen Seite hochzukommen. Wir sagten dem Mann Dank und verabschiedeten uns. Er wollte noch sehen, ob es gelang. Aus sahen wir wie die Ferkel, spielten wir doch Soldaten und lagen immer auf der Erde. Ich nahm also von Muttel noch den Koffer, sie nahm schon ihre letzte Kraft zusammen, ließ sie erst runterrutschen, ihr nach ich, es ging gut runter. Aber rauf. Das Gepäck zog mich immer wieder zurück. Ich kam nicht rauf. Längst heulte ich wieder. Nun war Muttel oben, sie wollte mir helfen, doch nicht mal bis die halbe Böschung kam ich. Die Russen hörten wir dauernd schießen. Wenn sie uns erwischten, war ich geliefert. Traudel war auch oben. Nun schob ich den Koffer vor mir her und stemmte mich an einen Baum. Man bekam den Koffer und dann kam ich dran. Oben, jetzt fort, aufrecht im Laufschritt durch ein Rübenfeld. Heiko, unser Hund, keinen Ton gab er von sich, immer mit uns. Im Wald waren wir gerettet. Aber der erschien uns so weit, doch auf einmal waren wir da. Alles sank hin, wo wir standen, doch wir waren noch nicht weit genug. Es ging weiter. Die Freude, nun endlich die Russen hinter uns zu haben, half uns viel. Einem verwaisten Haus gegenüber machten wir Rast. 7 Uhr morgens war es; von 3 bis 7 eine einzige Angst und Hetze. Um 9 Uhr zogen wir weiter, übernachteten im Nachbardorf in einer Gastwirtschaft und wurden am nächsten Morgen mit einem Wagen 9 km gefahren, auf den ich sogar aufsitzen durfte. Es ging bis zum Bahnhof. Dort bekamen wir Karten bis Linz, stiegen in den Zug und fuhren bis Weld. Dort auf einmal hieß es "Endstation, alle Reichsdeutschen müssen den Zug verlassen, dürfen die österreichische Bahn nicht benutzen". Na, wir waren froh, so weit zu sein. Man wies uns ans Rote Kreuz. Auf einem Zementboden bekamen wir Unterkunft, hoch oben unter dem Dachjuchhe. Wir legten Holzwolle unter unsere Decken und hatten ein gutes Lager. Das Gebäude war von Flüchtlingen überfüllt. Verwundete, alles lag kunterbunt durcheinander. Eine Woche werden wir dort gewesen sein. Wir bekamen dort Lebensmittelmarken. Das heißt, daß wir jetzt früh, mittags und abends pro Person einen halben Liter Suppe bekamen. Auch Ausweise wurden ausgestellt. Onkel und Tante bekamen je einen irrtümlicherweise, sie gaben sich als Österreicher aus. Doch vor mir war Schluss. Um weiter zu kommen, wurde von einer Spedition ein Lastwagen bestellt, und ab ging es eines morgens in Richtung Salzburg. Unterwegs wurden wir von Amerikanern kontrolliert. Der überwiegende Teil hatte Ausweise und ich tat, als hätte ich den meinen vorgezeigt, genau wie auch Muttel. In Salzburg angekommen, verschafften wir uns mit einer Bahnsteigkarte Einlaß auf den Bahnsteig. Bald lag der ganze Bahnsteig voller Menschen. Man konnte uns nicht vertreiben, wenn es die Österreicher auch versuchten. Es hätte Polizei eingesetzt werden müssen, die war nicht da und die Amerikaner sagten uns nichts. Zwei Tage und Nächte hielten wir uns auf dem Bahnhof auf, hatten nichts für den Magen, konnten nichts kochen, lagen auf dem Boden, den Kopf auf dem Gepäck und schliefen. Auch gingen ich und Traudel mal in die Stadt, doch sobald man merkte, daß wir Reichsdeutsche waren, wurden wir angepöbelt und mussten uns dorthin verkriechen, wo wir hergekommen waren, zum Bahnhof. Endlich, eines Abends hieß es, ein Güterzug mit Pferden nach München. Zwischen den Pferden wurden Verschlage aufgeschlagen, aber alles musste wieder raus, es hieß weiterwarten. Nun sollte ein Güterzug mit leeren Kanistern ankommen und am Abend abfahren. Schon am Nachmittag bestiegen wir ihn, wurden von Österreichern runtergetrieben, und es wurde uns ein anderer Zug als derjenige bezeichnet, welcher über die Grenze gehen sollte. So bestiegen wir besagten Zug. Ein Amerikaner, durch einen Dolmetscher befragt, klärte uns jedoch auf, daß der Zug mit den Kanistern nach Deutschland ginge. Wieder kletterten wir in den ersten Zug. Die österreichischen Bahnbeamten bekamen auf unsere Beschwerde in scharfem Ton gesagt, daß sie uns unbehelligt lassen sollten. Wäre der Amerikaner nicht gewesen, hätten wir noch Tage dort gesessen und gehungert und gewartet. Fast alle Frauen weinten und saßen stundenlang bei Regen auf den Kanistern, um die Abfahrt nicht zu verpassen. Ich hatte unser Gepäck auf den Perron eines Waggons vorn gesetzt und ein großes Pappstück zwischen Wagenrand und Kanister geklemmt. Selbiges bildete ein Dach über uns und schützte uns vor dem ärgsten Regen, wenigstens den Kopf. Auf das Gepäck hockten wir uns alle vier Personen. Ich konnte leicht runterfallen, doch daran dachte keiner. Eine Eisenstange, die vor uns war, diente als Halt. Jeder Puffer war besetzt. Der Zug, der um 11 Uhr abfuhr, war voller Menschen. Es war eine schlimme Fahrt. Wir wurden hin und her geschleudert, waren völlig durchnässt. Hinter der Grenze war Stopp, Passkontrolle. Wieder stand es mir bis zum Hals, doch das Wetter war unsere Rettung. Bei allen Schlafenden gingen die Amis weiter. Jeder kniff die Augen zu, um nicht zu blinzeln, wenn sie ins Gesicht leuchteten. Früh kamen wir in München an. Längst hatte ich Onkel und Tante Bescheid gesagt, dass wir uns dort trennen mussten. Ich wollte mit Muttel nach dem Schwarzwald, und sie wollten versuchen, nach Schlesien zurückzukommen. Jeder bekam ein halbes Pfund Brot, alles Esszeug wurde genau geteilt. Ein halbes Pfund hatten Muttel und ich - für wie lange? Wir hatten Glück. Uns gegenüber stand ein Güterzug nach Augsburg. Es gab einen traurigen Abschied, viele Tränen, auch Tante heulte, aber keine Tränen von mir. Mittags waren wir in Augsburg und mussten dort den Zug verlassen, angeblich auch den Bahnhof. Nun war ich ganz allein mit Muttel. Niemand von unseren Leuten war die Richtung mitgekommen, alle nahmen Richtung Nürnberg in der Hoffnung, nahe von zuhause und dann auch eher wieder dort zu sein. In Augsburg bekamen wir erst mal jeder eine Scheibe Brot, Heiko mit inbegriffen. Und dann ging ich spionieren. Ein Güterzug stand hinten, Richtung Ulm. Ein Bahner bestätigte mir, daß dieser um drei oder 4 Uhr abfahren würde. Es war ein Amizug. Augsburg hatte einen jüdischen Kommandanten. Keiner durfte auf diesen Zug, obwohl er leer war. Vielmehr wurden wir nun alle strengstens vom Bahnhof gewiesen. Für mich stand fest, nicht zu weichen. So zogen wir mit der Menge auf den kontrollierenden Ami zu, und indem ich acht gab, dass er mich und Muttel nicht sah, liefen wir hinter seinem Rücken hinter die nächsten Waggons und bestiegen den amerikanischen Güterzug. Zwei Stunden saßen wir ganz still, längst waren wir nicht mehr alleine. Unser Wagen war bald voll. Nun kam Kontrolle. Männer schoben die Türen zu und stemmten sich dagegen. Trotz Aufforderung machten sie nicht auf. Kein Laut war zu hören. So meinten sie, es sei niemand drin, und wir blieben wo wir waren. Es ging los. In Ulm ging es in die Schule, wenn ich daran denke! Hier wohnte ein Freund Pirmins. Ich wusste auch wo, doch fand ich den Weg nicht hin. Die Schule lag voller Flüchtlinge und Militär und war ein Saustall. Schon auf 10 Schritt kamen uns die Männer entgegen, nahmen das Gepäck und kümmerten sich um unsere Unterkunft. Ein Bett wurde uns zugewiesen. Wir ließen das Gepäck gepackt, Heiko dabei, und ohne ein Wort waren wir beide verschwunden. 10 Minuten später standen wir uns wieder gegenüber und mussten lachen. Beide hatten wir zwei Portionen Brot und Käse, es war uns wie ein Märchen. Schmutzig wie wir waren, wurde gegessen. Ich ging dann duschen, ein Soldat brachte uns ein Glas Fett. Er arbeitete im Magazin. Am nächsten Tag bekamen wir Weißbrot und schöne Sachen. Ich hatte mir in der Zwischenzeit einen ausgesucht, dem Ulm bekannt war. Ich fand die Wohnung von Pirmins Kameraden. Selbst ausgebombt, in Gerhausen ansässig, 10 km von Ulm entfernt. Doch ich wollte hin und entschloß mich, mit dem Milchwagen rauszufahren. Frühmorgens los, traf ich ihn nicht zu Haus an und lief nachmittags nochmal hin. Einen Teil fuhr ich auf dem Gepäckträger eines Rades mit einem Mann mit. Längst konnte ich keine Schuhe mehr tragen. Die großen waren zu groß, und die anderen zu klein, da ich die Füße wegen Wasser angeschwollen hatte. Die geringste Reibung gab eine Blase, und dauernd lief Wasser. So lief ich barfuss in Ulm in meinem Taftkleid neben meinem ständigen Begleiter her. Er musste wohl sehr entflammt gewesen sein, sonst hätte er diesen Aufzug nicht übersehen können. Heiko wurde uns in der Schule gestohlen, nehme an, daß er in einen Suppentopf gewandert ist. Auch Pirmins Freund kam uns besuchen. Er war über unsere Unterkunft entsetzt. Wir sollten wechseln, doch wir wollten am nächsten Morgen weiter, ich hatte die Karten bis Friedrichshafen schon gelöst. Papiere hatte ich keine bekommen, so hatte es keinen Sinn, länger dies Lager mitzumachen. So ging die Fahrt schwarz nach Friedrichshafen. Es kam eine Kontrolle, und auch in Friedrichshafen kam ich gut durch die Sperre. Alles, wurde kontrolliert. Nur das Glück ließ mich ungehindert durch. Nun waren uns alle Wege mit der Bahn versperrt. Wir waren nun schwarz auch in die französische Zone reingekommen. Hier galten andere Bestimmungen. Keiner bekam ohne Ausweis eine Fahrkarte. Wir nahmen unser Gepäck, schleppten es 50 Meter, es ging nicht, wir mussten wieder zum Bahnhof zurück. Vor dem Bahnhof saßen wir, die Frauen wieder mal. Das Essen war wieder alle, und wir wollten was tun. Ein Bahner kam und riet uns, das Gepäck aufzugeben. Mit Freude stimmten wir bei, wussten bis dahin ja nicht, dass dies schon ginge. Als dies getan war, kam er uns weiter entgegen. Wir sollten warten, er wollte uns in den Gepäckwagen des D-Zuges nach Immendingen hineinschmuggeln. Unsere Freude war groß, ein rettender Engel hatte als Bahner eingegriffen. Weiter brachte er uns eine Tasche Äpfel, und wir genossen diese im Anblick des Bodensees. Mittags wurden wir tatsächlich in den D-Zug verfrachtet. Wir saßen hinten im Gepäckwagen recht gemütlich, doch der freundliche Bahner war fort. Wenn man uns nun erwischte. Fahrkarten hatten wir wohl, aber wegen den fehlenden Papieren mussten wir ja im verbotenen Raum mitfahren. Der Schreck kam in Gestalt eines Marokkaners, der in unseren Wagen stieg und nur andeutete, wir müssten vorn in den Wagen. Ich tat, als verstehe ich seine Worte nicht, und er begriff wohl, was mit uns war. An der kommenden Station sprang er aus dem Wagen. Wir glaubten, nun ist es vorbei. Doch er kam wieder und brachte uns jedem eine Hand voll Äpfel. Ich zog es nun vor, mich schlafend zu stellen. Es ließ sich dann auch alles besser ertragen, wenn die Augen zu waren. Wir bekamen dann noch jeder Schokolade. Ich sollte weiterschlafen und bekam auch noch einen Händedruck, und fort war der Mensch. In Immendingen angekommen, liefen Muttel und ich 5 km. Wir fanden Nachtquartier in einem Gasthaus bei netten Leuten. Nächsten Morgen ging es weiter. 20 km, dann mussten wir Schluss machen, wir waren in die Schweizer Sperrzone reingekommen, wie, weiß ich heut noch nicht. Das Dorf, in welchem wir diese Nacht verbrachten, war nicht gewillt, uns einen Heuboden, geschweige ein Bett zur Verfügung zu stellen. Nachdem ich auf der französischen Kommandantur war und mich beschwert hatte, aber dort auch eine Bescheinigung für die Benutzung der Bahn bis Albbruck wollte, erhielt ich Vorhaltungen, dass Franzosen dies nie getan hätten, so zu schikanieren. Als ich dies auf der Bahn erzählte, bekam ich die Fahrkarten und nachher auch im Gasthaus Übernachtungsmöglichkeit. Freilich nur dadurch, dass der Gastwirt mich nach dem Ziel fragte und er meine zukünftigen Schwiegereltern kannte. Prompt gab ich mich als Frau Vogelbacher aus und schlief dafür in einem guten Bett. Nächsten Morgen fuhren wir die letzte Strecke bis Albbruck. Dort nahmen wir das Gepäck, welches bereits bereitlag, und machten uns daran, die letzten 3 km hinter uns zu bringen. Doch der letzte Schrecken: Wir kamen ein Stück hinter den Bahnhof, da war die Straße mit einer Schranke und zwei Franzosen versperrt. Wir waren in Schweizer Sperrgebiet und mussten, um nach Buch zu kommen, wieder raus. Ich redete den Franzosen ein, daß wir Evakuierte seien. Sie telefonierten die Kommandantur an. Ich musste kehrt machen, barfuss 3 km zurück. Ein Motorrad nahm mich mit. Nie hatte ich im Mitfahren so viel Glück wie in der Zeit unserer Flucht. Den Stempel von Wels drückte man mir auf den Meldeschein. Ich hatte einen Stempel, das war die Hauptsache. Im Dauerlauf ging’s zurück. Wir konnten passieren, verliefen uns nochmals, rasteten, es wollte nichts mehr. Es schien, als wenn ich nicht weiter konnte. Muttel mußte mich aufziehen. Bekannte erkannten mich nicht. Ich kann mir unseren Anblick wohl vorstellen, doch wir waren, wo wir hinwollten.
 
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